04 Verhaengnisvolles Schweigen
mein Mann. Ehefrauen sollten keine Geheimnisse vor ihren Männern haben, oder?«
»Was hat Sam gesagt?«
»Nichts. Er war einfach überrascht, das ist alles.«
»Kannte er Anne Ralston?«
»Nicht gut. Wir waren erst ein Jahr hier, als sie verschwand. Wir haben sie durch Bernie kennengelernt, später ging sie mit Stephen aus. Aber damals kannte Sam die Colliers noch nicht so gut.«
»Sind Sie sicher, dass Sie es sonst niemandem erzählt haben?«
»Niemandem«, wisperte Katie. »Ich schwöre.«
Banks glaubte ihr.
Sam Greenock, dachte er, war genau der Richtige, um Neuigkeiten weiterzugeben, besonders an seine Freunde im White Rose, bei denen er sich unbedingt einschmeicheln wollte. Gesellschaftlich stand er unter jedem von ihnen. Die Colliers waren die Könige der Gegend, und Fletcher besaß ein schönes Stück Land. Wie Katie sagte, ging Stephen Collier zu der Zeit mit Anne Ralston, als sie verschwand. Gleichzeitig hatte sich der Mord an Raymond Addison, dem Londoner Privatdetektiv, ereignet. Irgendwo, irgendwie war Sam Greenock in alles verwickelt. Was, wenn Sam Stephen erzählt hatte, dass Bernard Allen in Kontakt mit Anne stand? Und was, wenn sie in der Lage war, Allen irgendetwas Belastendes über Collier zu erzählen, etwas, was mit dem Mord an Addison zu tun hatte? Damit hätte Stephen eindeutig ein Motiv. Und wenn das der Fall gewesen war, inwieweit war dann Sam Greenock mitschuldig? Zum ersten Mal schien es eine mögliche Verbindung zwischen den Morden an Raymond Addison und an Bernard Allen zu geben, die sich nicht so einfach von der Hand weisen ließ. Das würde mit Sicherheit Superintendent Gristhorpe interessieren, der sich in seine übliche Rolle zurückgezogen hatte, weil es bisher so aussah, als hätte der eine Fall nichts mit dem anderen zu tun.
»Ich danke Ihnen, Katie«, sagte Banks und ging zur Tür. »Halten Sie lieber unsere Zimmer frei. Ich glaube, wir werden heute Abend zurückkommen.«
Katie nickte matt. Blass und versunken im Stuhl, sah sie abgenutzt und missbraucht aus wie eine ausrangierte Geliebte.
»Anne Ralston?«, wiederholte Gristhorpe ungläubig. »Nach all den Jahren?«
Er und Banks knieten vor einem Stapel Steine. Für gewöhnlich redeten sie kaum ein Wort, wenn sie an der Mauer arbeiteten, aber heute waren dringende Polizeiangelegenheiten zu besprechen. Nach dem Mittagessen war Sandra mit Brian und Tracy runter nach Lyndgarth gegangen, um sich eine Kunstgewerbeausstellung anzuschauen, so dass die beiden mit zwitschernden Lerchen und frechen Bachstelzen allein am Talhang über dem Dorf waren.
»Du kannst dir vorstellen, wie das die Lage verändert«, sagte Banks.
»Das kann ich - wenn es etwas mit dem Mord an Bernard Allen zu tun hat.«
»Das muss es.«
»Zunächst einmal wissen wir gar nicht, ob Anne Raistons Verschwinden mit dem Mord an Addison in Verbindung steht.«
»Das sind zu viele Zufälle, oder?«, sagte Banks. »Ein Privatdetektiv wird ermordet, und eine Einheimische verschwindet praktisch am selben Tag. Wenn das in London passiert wäre, oder selbst in Eastvale, käme ich nicht auf die Idee, eine Verbindung zu sehen, aber in einem kleinen Dorf wie Swainshead ...«
»Ja«, sagte Gristhorpe. »So gesehen ... Aber wir brauchen viel mehr, um weiterzumachen. Nein, den nicht - der ist zu flach.« Gristhorpe schob den Stein zur Seite, den Banks geholt hatte.
»Sorry.« Banks suchte den Stapel nach einem besseren ab. »Ich gehe davon aus, dass Anne Ralston etwas über den Mord an Addison wusste.«
»Okay. Rein theoretisch stimme ich zu.«
»Wenn sie etwas wusste und Hals über Kopf verschwand, dann kann das zweierlei bedeuten - entweder hat ihr jemand Geld gegeben, oder sie hatte Angst um ihr Leben.«
Gristhorpe nickte. »Oder sie wollte jemanden schützen.«
»Aber dann hätte sie nicht weglaufen müssen.«
»Vielleicht traute sie sich nicht zu, unter Druck den Mund zu halten. Wer weiß. Mach weiter.«
»Fünf Jahre lang hört niemand etwas von ihr, dann taucht plötzlich Bernard Allen auf und erzählt Katie Greenock, dass er Anne Ralston in Toronto gesehen hat. Kurz darauf, noch bevor er dorthin zurückreisen kann, ist Allen tot. Jetzt sagt Katie, dass Bernard nicht herumerzählen sollte, dass er Anne getroffen hat. Wollte Anne ihn schützen oder sich selbst? Oder beide? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen, ist, dass sie nicht wollte, dass ihr
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