04 Verhaengnisvolles Schweigen
sagen.«
»Hören Sie, wenn Sie ein bisschen Zeit haben, warum schauen wir uns nicht am Samstag ein Spiel an? Ich habe Tickets. Die Jays haben ein Heimspiel gegen die Yankees.«
»Würde ich gerne«, sagte Banks. »Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich hatte den Eindruck, dass Sie noch vor ein paar Stunden ausgesprochen sauer auf mich waren. Jetzt laden Sie mich zu einem Baseballspiel ein. Gibt es einen Grund dafür?«
»Sicher. Sie hatten sich falsch verhalten, und ich war im Dienst. Jetzt bin ich nicht mehr im Dienst, und irgendwer muss Ihnen zeigen, dass es in Kanada mehr gibt als Schnee, Mounties, Biber und Ahornbäume.«
»Na gut. Aber vergessen Sie die Eskimos nicht.«
»Inuit ist inzwischen die korrekte Bezeichnung.«
Banks trank sein Bier aus, und Gregson bestellte die nächste Runde. Die Scheinwerfer gingen wieder an, und eine attraktive, junge Frau mit langen, gewellten, schwarzen Haaren und brauner Haut kam auf die Bühne.
Gregson bemerkte, wie Banks sie anstarrte. »Schön, hä? Eine Vollblutindianerin. Sie heißt Wanda Morningstar.«
Schön war sie, keine Frage, und zwar auf so unschuldige und natürliche Weise, dass sich Banks fragte, wie sich das Mädchen mitten an einem Sommernachmittag für einen Haufen sabbernder alter Männer ausziehen konnte. Und, wenn man schon einmal dabei war, was zum Teufel hatte er unter ihnen verloren? Tja, schieb einfach Gregson die Schuld dafür in die Schuhe.
Weitere Biere wollten getrunken werden, und weitere Stripperinnen erklommen die Bühne, aber keine konnte Wanda Morningstar das Wasser reichen. Als sie schließlich gingen, war es nach zehn und Banks fühlte sich ziemlich angeheitert. Da das Bier eisgekühlt war, hatte es sehr wenig Geschmack, weshalb er es fälschlicherweise für niedrigprozentig gehalten hatte. In Wahrheit war es stärker als die Biere, die er kannte. Benebelt folgte er Gregson zum Auto.
Als sich Gregson hinabbeugte, um seinen Schlüssel in die Tür zu stecken, hielt er inne. »Nein«, sagte er zu sich selbst. »Zeit für ein Taxi. Du hast mich vom rechten Weg abgebracht, Alan. Wäre verdammt peinlich, wenn ich in meinem eigenen Revier betrunken am Steuer erwischt werden würde, oder?«
Sie gingen vom Parkplatz auf die Straße. Sie war immer noch belebt, viele der Geschäfte waren offen, durchgehend geöffnete Lebensmittelläden und das allgegenwärtige Mac's Milk. Oder war dies ein Mo's, Me's oder Mick's ? In Eastvale würde man niemals eine Spirituosenhandlung finden, die noch nach halb sechs offen hat, dachte Banks.
Gregson winkte ein Taxi herbei. Sie stiegen hinten ein. Der Fahrer, ein unkommunikativer Inder, nickte, als sie ihm sagten, wo sie hinwollten. Zuerst ließ er Banks vor Gerrys Haus raus, dann fuhr er mit Gregson weiter, der durch die Heckscheibe winkte.
Banks ging in die heiße Wohnung und ließ sich vor dem Fernseher aufs Sofa fallen. Es gab eine Folge von Perry Mason. Als ihm schließlich etwas schwindelig wurde und er seine Augen nicht mehr offenhalten konnte, ging er ins Schlafzimmer und legte sich hin. Für eine Weile wirbelten die Ereignisse des Tages chaotisch durch seinen Kopf, doch das letzte Bild, dasjenige, das ihn in den Schlaf wiegte, war von Wanda Morningstar, nackt tanzend, jedoch nicht auf der Bühne einer zwielichtigen Bar, sondern irgendwo in der Wildnis auf einer Lichtung, wo ihre dunkle Haut im Schein eines Feuers schimmerte.
Aber wie es Träumen eigen ist, veränderte sich die Szene, jetzt war es nicht länger Wanda Morningstar, die tanzte, sondern Anne Ralston, die in ihrem langen Paisleyrock vor ihm herrannte. Der typische Traum eines Polizisten: Egal wie sehr er sich bemühte, er konnte einfach nicht schnell genug laufen. Seine Füße schienen an der Erde festzukleben. Immer wieder hielt sie an, winkte ihm und lächelte nachsichtig, wenn sie sah, wie er versuchte, sich weiterzuschleppen. Um sechs Uhr wachte er schweißgebadet auf. Draußen zwitscherten die Vögel, und ein frühes Streetcar ratterte vorbei. Er stand auf und spülte ein paar von Gerrys Aspirin-Tabletten mit einem Glas Wasser runter. Dann fiel er wieder in den Schlaf.
* 10
Gerade war die Sonne hinter dem Adamsberg untergegangen, jetzt zeichnete sich der steile Berghang vor dem knallrot leuchtenden Himmel ab. Im großen Garten der Colliers spazierten die Gäste umher. Durch die offenen Türen der beiden Haushälften konnte man sich Getränke holen oder von
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