040 - Paris, Stadt der Sünde
gleich wieder da.“
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, wandte Rohan sich an Charles. „Die Töchter sollten bei nächster Gelegenheit aus diesem Schweinestall ausziehen, allerdings müssen die Vorbereitungen mit Feingefühl und Diskretion getroffen werden. Reich mir deinen Arm. Hier stinkt es nach Wirsingkohl und Tod. Je früher ich nach Hause komme, umso schneller verheilt die Schusswunde.“
„Dein Cousin will noch Laudanum holen.“
„Ich kann sein sauertöpfisches Gesicht nicht länger ertragen. Er soll es mir per Boten zustellen lassen. Vielleicht sollte ich ihm eine Dame aus dem Club zur Erbauung vorbeischicken. Marianne mit den großen Brüsten vielleicht.“ Er stand etwas wackelig auf seinen seidenbestrumpften Beinen. „Bring mich fort von hier. Es drängt mich, Pläne zu machen. Kann ich auf dich zählen?“
„Ich bin bei dir“, sagte Reading und nahm ihn beim Arm. „Auf jedem Schritt zur Hölle.“
„Wie wir es uns vor vielen Jahren geschworen haben, Charles. Beim Satan.“
„Beim Satan“, bestätigte Charles aus ganzem Herzen.
Selbst in seinem benebelten Zustand hörte Rohan den leisen Zweifel in der Stimme des Freundes, während sie gemeinsam in den verschneiten Abend hinaustraten.
8. KAPITEL
Die Tage verstrichen in eintöniger Gleichförmigkeit, und dieser Tag war ebenso grau und trostlos wie der vorherige. Nachdem der Viscount gegangen war, hatte Elinor noch eine Weile gewartet, um sich zu vergewissern, dass ihre Mutter und Schwester sie nicht brauchten, und sich anschließend erneut aufgemacht, um bei Rechtsanwalt Mr Mitchum vorzusprechen. Mittlerweile hatte sie eingesehen, dass ihre kopflose Flucht aus seiner Kanzlei töricht gewesen war. Sie musste an Lydias Zukunft denken, und da der Fürst der Finsternis sein Augenmerk auf ihre Schwester gelenkt hatte, galt es, ihren Stolz hintanzustellen. Statt wutentbrannt wegzulaufen, wäre es klüger gewesen, ein Treffen mit dem Erben ihres Vaters zu vereinbaren, auch wenn ihre Enttäuschung, im Testament nur mit einer winzigen Summe bedacht worden zu sein, riesengroß war. Ohne finanzielle Unterstützung waren sie alle verloren.
In den letzten sechs Jahren hatte sie sich stets bemüht, ruhig und überlegt zu handeln. Und dann hatte sie in einem Moment der Unbeherrschtheit ihre Familie in Gefahr gebracht, was sie mittlerweile bitter bereute.
Mr Mitchum erwies sich als wenig hilfreich. Der einzige Lichtblick war die Auskunft, dass der neue Lord Tolliver Frankreich noch nicht verlassen hatte, sich allerdings momentan nicht in der Stadt aufhielt, sondern Freunde auf dem Lande besuchte.
Wann er wieder in Paris sein würde, war dem Anwalt nicht bekannt, ebenso wenig, ob er bereit wäre, seine verarmten Verwandten kennenzulernen. Wenn Miss Harriman die Güte hätte, in einer Woche wieder vorzusprechen, könnte er eventuell einen Termin vereinbaren.
In einer Woche sind wir möglicherweise bereits verhungert, dachte Elinor bitter, als sie durch die verschneiten Straßen stapfte. Der Schnee tanzte in großen wirbelnden Flocken vom bleigrauen Himmel. Wäre sie nicht so bedrückt gewesen, hätte sie sich an diesem Naturschauspiel erfreut, trotz des bitterkalten Abends. Nach ihrem Besuch beim Rechtsanwalt war sie auf der vergeblichen Suche nach Arbeit stundenlang durch Paris gewandert. In ihrem ärmlichen Viertel hatten die Bewohner weder das nötige Geld noch Interesse daran, Klavierspielen zu lernen oder feine Stickarbeiten zu kaufen, weil sich niemand ein Klavier leisten konnte und Handarbeit sich auf das Flicken zerrissener Kleider und Strümpfe beschränkte. Im Übrigen ließ Elinors Geschick im Nähen und Sticken sehr zu wünschen übrig, und seit Jahren war kein Mensch mehr gezwungen, sich ihre holprigen Bemühungen auf dem Pianoforte anzuhören.
Sie zog den Schal enger um die Schultern und bereute, ihren abgetragenen Umhang im Château zurückgelassen zu haben, der sie wenigstens ein bisschen gewärmt hätte. Rohan hatte ihr zwar den gestohlenen Pelzmantel gebracht, aber Elinor scheute sich, ihn auf der Straße zu tragen, da zu befürchten war, dass er ihr von einem Dieb vom Leib gerissen wurde. In dieser verkommenen Gegend war es geradezu lebensgefährlich, teure Kleidung zu tragen.
Also hatte sie das kostbare Stück ihrer Schwester um die Schultern gelegt, damit die es in der ungeheizten Wohnung wenigstens warm hatte. Sie konnte nur hoffen, dass Lydia nicht ihre Mutter in einem Anflug von Mitleid damit zugedeckt hatte. Lady
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