0404 - Karten des Unheils
möchte ich sie als Zarin bezeichnen. Sie wissen, das ist die Verbindung zu Rasputin, der von der Zarin einst sehr geehrt und auch geliebt wurde. Alles klar?«
»Machen Sie weiter,« flüsterte Mrs. Goldwyn.
Ludmilla griff nach der dritten Karte. Ruckartig drehte sie die Hand, die Rückseite lag offen – und zeigte ein weiteres Motiv.
»Was ist das?« fragte Sarah.
»Der Magier oder der Gaukler. Auch eine sehr wichtige Karte in unserem Spiel. Erinnern Sie sich wieder an Rasputin. Ist er nicht auch als Magier und Gaukler bezeichnet worden?«
»Ja, das stimmt.«
»Die Karten geben den Beweis,« erwiderte Ludmilla und griff nach der vierten. Auf ihr verweilte die Hand ein wenig länger.
Dabei verzog sich ihr Gesicht, und ein ängstlicher Ausdruck trat in ihre Augen. Sarah Goldwyn hätte gern nachgefragt, doch sie traute sich nicht so recht, da sie fühlte, dass sich ihr Gegenüber in einem inneren Zwiespalt befand und einen Kampf ausfocht.
»Ich habe Angst,« flüsterte Ludmilla plötzlich. »Richtige Angst davor, die Karte umzudrehen.«
»Ist sie schlimm?«
Ludmilla nickte. Schweißperlen lagen auf ihrer Stirn. Sie war längst nicht mehr so ruhig. »Wenn ich die Hand jetzt drehe, kann ich vieles ändern.« Die Frau schüttelte sich, als hätte jemand Wasser über sie gegossen.
Sarah Goldwyn gab keinen Kommentar. Sie schaute starr auf die Hand der Russin, die noch immer auf der Karte lag. Dabei wartete sie auf das helle Leuchten, aber das wollte einfach nicht eintreten.
»Dann lassen Sie es doch, Ludmilla.«
»Nein, nein!« flüsterte die Frau rau. »Auf keinen Fall. Ich muss es tun, glauben Sie mir. Wenn ich zu feige bin und die Karte aus dem Spiel lasse, hat alles keinen Sinn. Wir müssen uns den Tatsachen stellen. Es kann sein…« sie atmete schwerer als vorhin, »dass eine von uns den Raum als Tote verlässt. Können Sie sich darauf einrichten, Mrs. Goldwyn?«
»Soll ich das wirklich?«
Ludmilla nickte. »Ja, ich habe Sie gewarnt. Was wir hier treiben, ist kein Spiel. Dahinter steckt mehr. Viel mehr, als wir beide jemals annehmen können.« Mit der freien Hand deutete sie auf Sarah. »Ich gebe Ihnen noch eine Chance. Wenn Sie jetzt aufstehen und das Zimmer verlassen, kommen Sie bestimmt mit dem Leben davon. Ansonsten stehen die Chancen 50:50.« Sie hob ihre Stimme. »Eine von uns, Lady Sarah, wird auf der Strecke bleiben, das spüre ich. Wir haben mit dem Feuer gespielt, jetzt kann es uns fressen!«
Hart klangen die Worte. Die Emotionen waren herauszuhören.
Sarah Goldwyn saß starr auf ihrem Platz. Sie fühlte sich von einer unheimlichen Aura umgeben, die sie nicht steuern konnte.
Da war die andere Kraft, die sie durch ihren Besuch herausgefordert hatte, und das war für sie der springende Punkt. Nein, sie konnte nicht kneifen. Nicht jetzt, nicht bei diesem Punkt. 50:50 standen die Chancen. Sarah Goldwyn hatte in ihrem Leben schon zu viel durchgemacht, um jetzt feige zu sein.
»Drehen Sie die Karte um!« verlangte sie.
»Wirklich?«
»Ja!«
Ludmilla Prokowa nickte. Noch einmal atmete sie tief durch, wie jemand, der vor der alles entscheidenden Aufgabe stand. Und sie drehte die Karte nicht herum, wie Lady Sarah verlangt hatte, sondern zog ihre Hand ruckartig weg.
Die Horror-Oma starrte auf das Motiv.
Es war – der Tod!
Sekundenlang geschah nichts. Dann ließ sich Ludmilla auf ihrem Stuhl zurückfallen, öffnete den Mund, und ein schreckliches Stöhnen drang über ihre Lippen. »Ich, ich habe es gewusst,« ächzte sie. »Verdammt, ich habe es gewusst und auch gespürt. Es ist der Tod gewesen. Er hat sich zwischen uns geschlichen. Er wird eine von uns holen.« Sie redete noch weiter, doch die Horror-Oma achtete nicht auf ihre Worte, sondern sah sich die Karte genauer an.
Auf ihr war ein schwarzes Skelett abgebildet. Der Sensenmann in all seiner Scheußlichkeit. Das Bild zeigte ihn so, wie sich die Menschen des Mittelalters den Tod vorgestellt hatten. So schrecklich und grauenhaft, ohne eine Spur von Gnade. Dieses Bild erinnerte Lady Sarah an den Schwarzen Tod, der einmal zu den gefährlichsten Feinden ihres Freundes John Sinclair gehört hatte.
Es dauerte eine Weile, bis sich Ludmilla wieder erholt hatte. »Ich konnte nicht anders. Ich brauchte fünf Karten. Diese fünf bestimmen unser Schicksal, und sie haben auch das des großen Rasputin bestimmt.«
»Ist die Karte denn so schlimm?« erkundigte sich Sarah.
»Schlimm?« Es sollte ein Lachen werden, das die Russin ausstieß, aber es
Weitere Kostenlose Bücher