0407 - Am Tisch des Henkers
Lampen.«
»Gibt es denn hier Strom?« Leroy hatte die Frage gestellt.
»Nein. Das sind alte Petroleumleuchten.«
Clifton nahm wieder einen Schluck aus dem Flachmann. Thompson warnte ihn. »Du solltest nüchtern bleiben, Reggi.«
Der Mann mit der Glatze winkte ab. »So oder so kaputt. Was soll es denn, verdammt? Wenn ich sterbe, spielt es keine Rolle, ob ich voll bin oder nicht.«
»Ich will aber leben«, sagte Drinkfield, »und deshalb sehe ich mir die alte Bude an.« Er drückte Clifton zur Seite.
Als Erster trat er über die Schwelle, die anderen folgten ihm langsamer. Niemand sprach mehr. Nur ihre Schritte waren zu hören, die auf den alten Bohlen unnatürlich dumpf klangen.
Der Gastraum war ziemlich groß. Und in der Ecke befand sich der runde Tisch.
Ihr Tisch.
Er stand dort noch immer, aber er war zum Stammtisch des Henkers geworden.
Auf der runden Platte lagen die Utensilien des Mörders.
Ein Schwert und eine Axt!
***
Die drei alten Männer blieben stehen, wie vom Donner gerührt. Jetzt wussten auch Clifton und Drinkfield, dass ihnen ihr Freund keinen Bären aufgebunden hatte.
Der Henker erwartete sie tatsächlich!
Sie hatten keinen Blick für die übrige Einrichtung, die ebenfalls verfallen war. Die Tische zeigten Risse und Sprünge. Bei den Stühlen war es ähnlich. Kaum einer stand noch auf seinen Beinen. Die meisten lagen auf dem feuchten Boden.
Durch die Löcher in den Fensterscheiben drangen die Nebelschwaden lautlos in das Innere des Gasthofs und glitten wie Geisterfinger in die Nähe der beiden Lampen, wo sie dann rot-gelb schimmerten.
Vier Stühle umstanden den Stammtisch des Henkers. Sie hatten hohe Lehnen, waren aber auf ihren Sitzflächen nicht gepolstert.
Nicht weit davon entfernt befand sich ein Fenster mit noch nicht zerstörter Scheibe. Darunter stand eine alte Sitzbank. Auf ihrer Fläche lag der Staub fingerdick. Besonders gut zu erkennen, weil dort ebenfalls eine Petroleumlampe hing und ihr Licht auf die Bank streute.
Leroy Thompson fand als Erster die Sprache wieder. »So wie der Tisch gedeckt ist, sieht mir das ganz nach einer Einladung aus«, erklärte er. »Wir sollten sie annehmen.«
»Fehlen nur noch die Getränke!«, krächzte der glatzköpfige und geierhaft wirkende Reginald. Er klopfte zweimal mit seinem Stock gegen den Tisch, als könnte er den Henker damit herbeilocken.
»Du hast doch etwas!«, hielt ihm Drinkfield vor. Er machte wieder den Anfang und holte sich den Stuhl heran, auf dem er früher immer gesessen hatte.
Das Schaben der Stuhlbeine auf dem Holzboden war das einzige Geräusch in der Stille.
Steif blieben die Männer sitzen. Nur Sir Reginald Clifton hockte krumm auf seinem Platz.
Sie sprachen nicht, sie warteten. Nicht sie hatten die Regie übernommen, sondern ein anderer, der sich bisher noch nicht gezeigt hatte. Und keiner von ihnen wagte, die Waffen des Henkers anzufassen, aber sie erinnerten sich genau an sie, denn die gleichen Waffen hatte der Henker damals in Indien getragen.
Mit der Klinge des Schwerts war das Mädchen Mari geköpft worden.
Und wieder verstrichen die Minuten. Nur Reginald atmete lauter.
Er wollte wieder seine Flasche hervorholen, Drinkfield aber legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Lass es!«
Clifton ließ den Flachmann stecken.
Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Kein Lichtstrahl schob sich in das Gasthaus. Die Fenster malten sich dunkel ab wie die Eingänge viereckiger Tunnels.
Allmählich veränderte sich die Atmosphäre. Obwohl die drei Männer nicht darüber sprachen, hatte jeder das Gefühl, als würde sie unheimlicher werden.
Vielleicht lag es auch an der Kälte. Sie hatte sich innerhalb der Gaststube eingenistet und kroch von unten her durch die Schuhe in ihre Füße und Beine hinein.
Eine normale Kälte, aber die drei Wartenden empfanden sie anders. Sie kam ihnen vor wie ein erster Gruß des Todes, den der Sensenmann ausgeschickt hatte, um seine Ankunft anzukündigen.
Sie wussten, dass dieses Gasthaus auch eine erste Etage besaß.
Dort hatte früher der Wirt mit seiner Familie gewohnt. Eine alte Holztreppe führte hoch.
Ob die Treppe noch in Ordnung war oder nicht, wusste keiner von ihnen. Jedenfalls vernahmen sie aus dieser Richtung die dumpfen Geräusche, und sie hörten sich an wie Schritte.
Die alten Kameraden lauschten. Drinkfield hatte sich auf seinem Stuhl gedreht und starrte dort hinüber. Der Anfang der Stiege lag versteckt in einer Nische, nicht weit von der Theke entfernt. Dort
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