0407 - Am Tisch des Henkers
stehen, doch wenige Augenblicke später hatten sie die Gaststube betreten, und der Chinese vernahm das Echo ihrer schleifenden Schritte, als sie die Gaststätte betraten.
Danach vernahm er andere Geräusche. Er konnte sich vorstellen, dass ein Tisch oder Stühle gerückt wurden.
Anschließend wurde es wieder ruhig. Auch Suko kam die Ruhe unnatürlich vor. Er tat nichts, er blieb in diesem oberen Zimmer und wartete darauf, dass die eigentliche Hauptperson des Falles die Regie übernehmen würde.
Draußen wurde es dunkel.
Wie lange würde er noch warten müssen? Suko spielte mit dem Gedanken, nach unten zu laufen und sich den drei Männern zu zeigen, damit sie beruhigt waren.
Er tat es nicht, denn er gönnte diesen Leuten ihre Strafe. Sollten sie warten, hoffen und gleichzeitig zittern. Das bedeutete schließlich keine Lebensgefahr.
Es dauerte nicht mehr lange, als ein Ereignis eintrat, das Suko die Entscheidung abnahm.
Wieder hörte er Schritte.
Diesmal allerdings nicht von mehreren Personen. Da ging ein einzelner durch das Haus.
Aber wer?
Suko drückte sich von seinem Stuhl hoch. Auf Zehenspitzen schlich er zur Tür, wobei es ihm leider nicht gelang, sämtliche Geräusche zu vermeiden, denn der Fußboden war alt und knarrte, wenn er belastet wurde.
Suko hoffte trotzdem, die Tür ungehört erreicht zu haben, und zog sie vorsichtig auf, damit er in den Gang hineinschauen konnte.
Zuerst fiel sein Blick nach rechts.
Da sah er nur die Mauer am Ende des Ganges, die in der Düsternis wie ein Schatten wirkte.
An der linken Seite sah es schon anders aus.
Zunächst wollte es der Inspektor nicht glauben, aber genau dort, wo die Treppe begann, stand die Gestalt.
Ein breiter, nackter Rücken, eine enge Hose, die die Beine des anderen umschloss, und eine Kapuze, die seinen Schädel völlig verdeckte.
Der Henker!
Und er ging weiter.
Schritt für Schritt stieg er die Stufen der Treppe hinab, nicht aufgehalten durch Suko, denn der Inspektor hatte trotz der miesen Lichtverhältnisse genau erkannt, dass diese Gestalt nicht bewaffnet gewesen war. Sie schritt also mit leeren Händen in die am Ende der Treppe liegende Gaststube. Wahrscheinlich hatte sie vor, zunächst mit den Männern zu reden und ihnen die Sünden der Vergangenheit vorzuhalten.
Suko erinnerte sich auch daran, dass er bei seiner ersten Inspektion die Waffen des Henkers auf einem runden Tisch hatte liegen sehen. Der Chinese wartete, bis er die Schritte des Unheimlichen nicht mehr auf der Treppe hörte, dann wollte er sich in Bewegung setzen.
Jemand hinderte ihn daran.
Eine Stimme, sanft und weich, dennoch sehr beharrlich klingend.
»Geh nicht weiter, Fremder.«
Suko drehte sich um. Er hatte die Stimme vernommen. Sie war wie ein Hauch. So ähnlich kam ihm auch die Person vor, die er jetzt direkt anschaute.
Eine schmale Gestalt in ein weißes Gewand eingehüllt. Sie stand da, als würde sie frieren. Suko konnte sie deshalb so gut erkennen, weil um ihre Gestalt eine Aura lag, die ihm vorkam wie ein überirdisches Leuchten.
War sie ein lebendes Wesen oder eine Geistererscheinung?
Was selten geschah, passierte hier. Suko vergaß den Henker. Der Anblick dieser Gestalt faszinierte ihn. Sie machte auf ihn einen so schutzbedürftigen Eindruck, und als er näher an sie heranging, konnte er sie noch besser erkennen.
Suko sah, dass ihr Gewand an einigen Stellen eingerissen war, als hätte sich jemand mit einem spitzen Gegenstand daran zu schaffen gemacht. Dieser Jemand hatte die Haut nicht verschont, denn die Gegenstände waren auch in das Fleisch gedrungen, hatten es aufgerissen und nicht blutende Wunden hinterlassen.
Sehr dunkle Augen hatte das Mädchen, die sich in dem Weißen Gesicht als starker Kontrast dazu abhoben.
Zwei Schritte vor der Unbekannten blieb Suko stehen. Er Wunderte sich selbst über den Zauber, mit dem die andere ihn eingefangen hatte. Mit leiser Stimme fragte er: »Wer bist du?«
Ebenso leise erhielt er die Antwort. »Eine Tote.«
Suko akzeptierte dies. »Hast du auch einen Namen?«, wollte er noch wissen.
»Ja. Ich heiße Mari.«
***
Es hatte Sir James Powell genau zwei Telefonanrufe gekostet, um mich auf den neusten Stand der Informationen zu bringen. In seinem Büro saß ich ihm gegenüber, hatte eine Kopfschmerztablette geschluckt und notierte mir die Wegbeschreibung des Superintendenten. Er erklärte mir, wie ich zu diesem einsam stehenden Gasthof kam, in dem sich die drei Männer früher immer getroffen hatten.
Mein Chef
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