0407 - Das neue Element
achtzehnter Mai, vier Uhr dreizehn-vierzig Standardzeit. Danke, Ende."
Er hob die Konferenzschaltung auf.
*
18. Mai 3432 Standardzeit ...
Derbolav de Grazia warf einen Blick auf die Leuchttafeln des Bordchronografen und sah, wie die Zeitanzeige auf 4.10.00 glitt.
Die ROSSA OBERA fiel antriebslos auf einen unsichtbaren Koordinatenpunkt zu, den sie um genau 4.13.40 Uhr erreichen sollte. Zur Linken ballte sich in den Schirmen der Panoramagalerie ein selbstleuchtender Gasnebel. Die bizarren vielfarbigen Strukturen schienen erstarrt zu sein. In Wirklichkeit, wußte Derbolav, jagten sie mit größerer Geschwindigkeit als die ROSSA OBERA durchs All.
Nur die große Entfernung täuschte das begrenzte Wahrnehmungsvermögen des Menschen. Der Patriarch blickte zu den Steuerbordschirmen.
Die karmesinrote Sonne war nur vier Millionen Kilometer entfernt. Deutlich waren auf der Oberfläche Gasausbrüche und Wirbelströme zu sehen. Über diesem Bildschirmsektor sah Derbolav eine weiße Sternenkugel, deren Licht in den Augen schmerzte; es war der kleinere Begleiter der karmesinroten Sonne. Für jeden Beobachter sah es so aus, als kreiste der weiße Zwergstern um den roten Riesen. Das war allerdings eine optische Täuschung; infolge seiner ungeheuren Dichte besaß der Zwergstern eine bedeutend größere Masse als der rote Riese. Beide Sterne kreisten um einen gemeinsamen Schwerpunkt, aber dieser Schwerpunkt befand sich im Innern des Zwergsterns. Die Auswertung der Massetaster war eindeutig.
Derbolav de Grazia atmete unwillkürlich schneller.
Wie die meisten Prospektoren hielt er nicht allzuviel von Philosophie; ihr Leben zwang diese Männer und ihre Familien zu pragmatischem Denken. Dennoch gab es Augenblicke, so wie diesen, in denen er überlegte, welchen Sinn das menschliche Leben angesichts der relativen Unberührtheit des Universums besaß. Die Menschheit war alt, viel älter, als man noch vor wenigen Jahrhunderten gedacht hatte. Es gab naturwissenschaftliche Schriftsteller, die die Theorie verbreiteten, die Menschheit habe bereits vor Millionen von Jahren die interstellare Raumfahrt beherrscht. Derbolav fragte sich in diesem Zusammenhang, warum es dann der Menschheit - und dem vernunftbegabten Leben überhaupt - bisher nicht gelungen sei, eine nennenswerte Spur im Universum zu hinterlassen.
Vielleicht lag es daran, daß die menschliche Mentalität keine zielgerichtete vertrauensvolle Zusammenarbeit zuließ. Die Natur des Menschen orientierte sich an einem sehr dauerhaften Urinstinkt, der noch aus der Phase des Übergangs vom intelligenten Tier zum vernunftbegabten, selbstbewußten Menschen stammte. Erbarmungsloser Kampf gegen eine physisch übermächtige Umwelt war damals der Katalysator der Menschwerdung gewesen, und unbewußt suchte der vermeintlich gut zivilisierte Mensch des 35. Jahrhunderts das Stimulans des Kampfes. Fand er infolge der Auswirkung seiner technischen Mittel auf den Planeten keine natürlichen Feinde mehr, so wandte er sich gegen die eigenen Artgenossen.
Selbstverständlich gab es Menschen, die diesen Trieb zu kompensieren verstanden: Dann traten sie gegen die Naturkräfte des Alls zum Kampf an. Manchmal errangen sie glänzende Siege, meist jedoch wurden ihre Bestrebungen von der verständnislosen Masse jener erstickt, die noch immer nach dem Denkschema der Neandertaler lebten.
„Achtung!" erscholl die Stimme des Komputers.
„Eintritt in den Zwischenraum in sechzig Sekunden!"
Der Patriarch schreckte aus seinem Brüten auf.
Innerhalb weniger Sekunden warf er die philosophischen Überlegungen ab wie eine schmutzige Hülle. Auf ihn und seine Männer warteten Taten, und Taten waren besser als Grübeleien.
„Es geht los!" rief er über Interkom seinen Leuten zu. „Drückt den Daumen, daß wir nicht in der Sonne Pash landen!"
„Du hast vielleicht Humor, Chef", sagte Juan Mellone-Grazia sarkastisch. „Glaubst du etwa, deine Worte würden eine beruhigende Wirkung ausüben?"
„Beruhigende ... was?" Derbolav schüttelte den Kopf, während er sich anschnallte. „Warum sollte ich meine Männer beruhigen? Prospektoren lieben die Gefahr."
Juan starrte den Patriarchen verständnislos an, dann lachte er und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
„Oh, wie konnte ich das vergessen! Meine Studienzeit hat mich ganz vergessen lassen, wie es in unseren Sippen zugeht."
Derbolav de Grazia grinste. „Vergessen wir auch das", schlug er vor. „Ich denke ..."
Die Komputerstimme
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