0409 - Raissas Raubtier-Horror
Ihnen nur sagen, wie es tatsächlich war. Die Bestie verschwand vor unseren Augen. Sie löste sich auf. Das Tier ist nicht normal. Ich würde es als ein magisches Phänomen bezeichnen. Nehmen Sie mir das ab?«
Durch die Nase holte er Luft. »Nein!«
»Dann können wir Ihnen nicht helfen. Tut uns Leid. Das ist kein Fall für Sie mehr. Lassen Sie die Finger davon. Ziehen Sie sich zurück. Ich warne Sie!«
O’Brian wurde auf einmal sehr ruhig. »Und Sie glauben, Sinclair, dass ich Ihnen das alles abnehme?«
»Es ist besser, uns zu glauben,« erklärte Suko, »wenn Sie auch über Ihren eigenen Schatten springen müssen.«
»Tut mir Leid, das können Sie von mir nicht verlangen. Wir werden dieses Weib und die Tiere suchen. Und wir werden sie finden!« erklärte er mit aller Deutlichkeit.
»Dann können wir Ihnen nicht helfen, Captain. Nur müssen Sie uns gestatten, dass auch wir uns auf die Suche machen.«
»Bitte. Aber kommen Sie uns nicht in die Quere. Wir sind eine Kampftruppe.«
Ich nickte, denn ich hatte die Warnung verstanden.
Wir waren für O’Brian nicht mehr existent. Er drehte sich um und rief seine Leute zusammen. In einer Reihe ließ er sie antreten, während Suko und ich uns auf den Weg zum Wagen machten und dabei ein verdammt schlechtes Gefühl hatten.
***
Raissa hatte ihren Mantel abgelegt und lag auf dem kalten Holzboden. Doch die Kälte spürte sie nicht. Dafür hielt sie etwas anderes in ihrem Bann.
Es war das Spiel mit dem Panther!
Für einen Außenstehenden wäre es unvorstellbar gewesen, aber Raissa machte es Spaß. Sie liebte die beiden Tiere, die so gar nicht mehr in die normale Welt hineinpassen wollten, weil Geschöpfe ihrer Größe ausgestorben waren.
Tiere und Menschen…
Das waren für Raissa zwei verschiedene Paar Schuhe. Das Mädchen hatte es gelernt, die Menschen zu hassen. Sie waren unzuverlässig und untreu.
Auf die Tiere aber konnte sie sich verlassen. Wenn sie Liebe zeigten, dann voll und ganz, ohne irgendwelche Hintergedanken, und so war es auch bei den beiden.
Der Tiger hatte sich in eine Ecke des Käfigwagens zurückgezogen.
Er hockte dort am Boden, bewegte den Kopf, und die lange, aus dem Mund schlagende Zunge strich über das Fell, um es zu reinigen.
Raissa lachte. Sie produzierte Laute, die dem Panther zu gefallen schienen, denn er knurrte und schnurrte manchmal sanft wie eine kleine Katze. Dann drückte er seinen Kopf tiefer, um ihn an dem fast nackten Körper des Mädchens zu reiben und so seine Zuneigung zu beweisen.
Raissa »sprach« mit ihm.
Es waren keine normalen Worte. Manchmal nur ein leises Zischen, das in einem tief in der Kehle geborenen Grollen mündete, als das Mädchen den Panther streichelte.
»Du bist der Beste,« flüsterte sie. »Du wirst mich beschützen.«
Es schien so, als hätte der Panther die Worte verstanden, denn er änderte seine Liegehaltung und presste sich mit dem Körper gegen die Beine des Mädchens, das die Wärme des Fells spürte und sich auch über den heißen Raubtieratem freute, der manchmal über ihren Körper strich und eine Gänsehaut erzeugte.
Die Bewegungen des Panthers wirkten lässig, als die beiden miteinander balgten, aber nie wurde Raissa ein Leid zugefügt. Auch Pantherpranken können streicheln, das spürte sie genau.
Irgendwann hatte sie genug von der Balgerei, drückte den Panther zurück, der dies auch willig mit sich geschehen ließ. Sie nahm den Mantel und hängte ihn sich über. »Nicht mehr lange,« flüsterte sie und schaute dabei in die Augen des Tieres. »Nicht mehr lange, dann sind wir da. Dann haben wir das Ziel erreicht, und es wird alles anders werden. Das kann ich dir versprechen, mein Liebling.«
Sie redete mit dem Panther, als hätte sie einen Menschen vor sich.
Es sah so aus, als würde das Tier sie verstehen, denn die Augen nahmen einen anderen Ausdruck an.
Zwar schillerten sie noch gelb und kalt, aber in die Pupillen schien sich ein warmer Schein eingenistet zu haben, und Raissa lächelte dem Raubtier zum Abschied noch einmal zu.
Bald ist es vorbei , dachte sie. Dann brauchst du nicht mehr hinter den Gitterstäben eines Käfigs zu hocken. Dann haben wir unser Ziel erreicht.
Ihr könnt wieder zu dem werden, was ihr einmal wart. Herrliche Tiere, die in unbegrenzter Freiheit leben. Wir spüren es. Wir merken, dass sich die Magie nähert. Er kommt wieder. Wie schon so oft. Und die Menschen merken nichts davon. Sie wissen, dass er kommt, aber sie ignorieren seine Macht und seine Kraft
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