041 - Die Tür mit den 7 Schlössern
ankämpfend.
»Was heißt weit, wenn man ein Auto hat! Keinen Fordwagen etwa, bewahre! Einen Siebzig-PS-Rolls-Royce!« Sie rollte das Wort mit der Zunge, als könne sie sich nur schwer von ihm trennen. »Wir wohnen in Sussex, dicht an der Chaussee nach London. Im Handumdrehen können wir da sein.«
Es fiel Sybil flüchtig ein, daß sie schon gestern diesen Weg gefahren war. Sie blickte auf die Uhr.
»Gut«, sagte sie, »ich werde kommen. Aber wir schließen erst um vier Uhr. Vorher kann ich die Bibliothek nicht verlassen.«
»Das schadet gar nicht, mein liebes Kind«, beeilte sich Mrs. Cody zu erwidern. »Ich mache noch ein paar Einkäufe und warte dann mit meinem Wagen unten vor der Tür.«
Sie verabschiedete sich. Der Geruch ihres Parfüms folgte ihr wie ein Kometenschweif.
Sybil stand einen Moment regungslos. Mrs. Codys Besuch hatte die Erinnerung an ihren Vater heraufbeschworen und an die traurigen Monate, die seinem Tod vorangingen. Sie war im Tiefsten erregt. Die ungeheuerliche Ungerechtigkeit, die an ihrem Vater begangen worden war, ließ sie noch heute erbeben. Viel, viel mehr als das verlorene Vermögen schmerzte sie das unverdiente Unglück ihres Vaters.
Sie rief die Mutter an, um sie von dem Vorgefallenen in Kenntnis zu setzen. Niemand meldete sich. Da fiel ihr ein, daß ihre Mutter diesen Tag bei ihrer Freundin verleben wollte, und sie hängte den Hörer ein. Ihr nächster Gedanke war Dick. Sie mochte es sich nicht eingestehen, daß eine kleine Unsicherheit in ihrem Innern zurückblieb. Sie hätte gern seine starke, zuversichtliche Stimme gehört. Doch auch dieser Anruf war erfolglos.
Um vier Uhr verließ sie die Bibliothek. Das Auto hielt an der Bordschwelle. Der Fahrer war ein jüngerer Mann in schlichter Livree. Er lächelte ihr zu, als er sie erblickte, und sein offenes, frisches Lächeln zerstreute ihre letzten Bedenken. Sie stieg ein.
Tom Cawler setzte das Auto in Bewegung. Der wunderbare Wagen glitt wie beschwingt über den Fahrdamm.
Eine elastische Federung fing jeden Stoß auf.
»Haben Sie Ihrer Mutter Bescheid gesagt?« fragte Mrs. Cody, indem sie eine schimmernde Moirédecke über Sybils Knie legte.
Das junge Mädchen schüttelte den Kopf.
»Sie war nicht zu Hause«, sagte sie unbefangen.
»Nun, dann haben Sie doch jemand anders von dem Ziel Ihres Ausfluges unterrichtet, damit sich Ihre Mutter nicht über Ihr Ausbleiben beunruhigt?«
»Oh«, sagte Sybil, »so schlimm ist das nicht. Meine Mutter ist daran gewöhnt, daß ich zuweilen mit Freundinnen ausgehe.«
Mrs. Cody sagte nichts mehr. Aber in ihrem Gesicht zeigte sich ein befriedigtes Lächeln.
18
»Sie sind also die Tochter meines alten Freundes!« So begrüßte Cody das junge Mädchen, als das Auto vor der Terrasse seines Hauses hielt.
Sybil blickte ihn aufmerksam an und durchforschte ihr Gedächtnis. Sie war sicher, sie hatte diesen kleinen kahlköpfigen Mann noch nie gesehen.
»Können Sie sich meiner nicht mehr erinnern?« fragte er.
Sybil schüttelte mit einem um Entschuldigung bittenden Lächeln den Kopf.
»Nun«, meinte Cody, »das ist nicht so seltsam. Als ich Sie das letzte Mal sah, machten Sie gerade Ihre ersten Gehversuche.«
Er bot dem jungen Mädchen den Arm und führte es ins Haus. Mrs. Cody sandte ihm einen warnenden, gereizten Blick nach, aber er zog es vor, ihre säuerliche Miene zu übersehen.
Im Wohnzimmer schob er Sybil den bequemsten Sessel hin und legte ihr trotz ihrer lachenden Proteste noch ein weiches Kissen hinter den Rücken.
Der Tisch war anheimelnd gedeckt.
»Der Tee kommt sofort, mein Kind. Gewiß hat die lange Fahrt Sie angegriffen?«
Er suchte ihren Blick.
Plötzlich stand, wie aus dem Boden gezaubert, Mrs. Cody vor den beiden. Cody, der sich halb über das junge Mädchen gebeugt hatte, fuhr ertappt zurück.
»Bertram«, sagte sie, »darf ich dich einen Moment sprechen?«
Und dann mit süßlichem Lächeln zu Sybil: »Miss Lansdown, wollen Sie meinen Gatten für einen Augenblick entschuldigen?«
Sybil, die ihre Absicht durchschaut hatte, mußte ein Lächeln verbeißen. Sie begnügte sich mit einer lässighöflichen Bewegung der Hand.
Cody aber war durchaus nicht in der Stimmung, sich eine Gardinenpredigt anzuhören; er funkelte seine Frau böse an.
»Das hat wohl Zeit bis nachher«, sagte er abweisend.
Eine Blutwelle schoß Mrs. Cody in den Kopf. Sie versuchte, ihren Mann mit einem vernichtenden Blick zu strafen, und da ihr das nicht gelang, schoß sie wie ein Bolzen aus dem
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