041 - Um Mitternacht im Leichenhaus
sie war fertig und ging zu dem
Chevrolet.
Als sie hinter dem Steuer saß, hatte sie ein mulmiges Gefühl. Sie musste an
die vergangene Nacht denken. Das Rauschen des Meeres wurde immer schwächer, je
weiter sie in das Innere des Landes fuhr. Judy passierte einige kleine Dörfer,
sah spielende Kinder und kam an einer Reklamesäule vorbei, auf der groß ihr
Konterfei strahlte und für eine Sonnencreme warb, die sie selbst im Leben
niemals benutzt hatte. Judy ertappte sich während der Fahrt dabei, dass sie hin
und wieder einen Blick in den Rückspiegel warf. Sie hatte den geheimnisvollen
Beifahrer in ihrem Chevrolet von letzter Nacht nicht vergessen.
Der Mann ohne Gesicht!
Angst erfüllte sie immer wieder bei dem Gedanken, dass sie eventuell doch
nicht allein im Wagen war. Das wuchs sich förmlich zu einer Zwangsvorstellung
aus, und sie wusste, was das zu bedeuten hatte: Verfolgungswahn, Depressionen –
der erste Schritt über die Schwelle zum Wahnsinn.
Ihr kam eine verzweifelte Idee. Sie wusste, wie sie Gewissheit erhalten
konnte.
Sie musste sich das Leichenhaus von Salisbury ansehen!
●
Larry Brent war mit Einbruch der Dunkelheit am Rande von Salisbury
eingetroffen. Ein Militärhubschrauber hatte ihn in der Nähe eines großen,
brachliegenden Grundstückes, auf dem ehemals eine Fabrik gestanden hatte,
abgesetzt. X-RAY-1 hatte sich aufgrund der Computerauswertungen blitzschnell
entschlossen, dem Wunsch seines Agenten nachzugeben. Was Miriam Brent nicht
ahnte, war, dass ihr Bruder in Salisbury weilte, weil er einen offiziellen
Auftrag erhalten hatte. Darüber verlor er kein Wort, um die Stimmung seiner
Schwester, die sich über seine Ankunft über das Maß hinaus freute, nicht zu
verderben.
Sie glaubte, dass der Hauptgrund ihr Auftritt sei, die große
Einweihungsfeier, die ihr eine entscheidende Hauptrolle an der Seite der
berühmten Judy Bartmore gebracht hatte.
Doch die Dinge lagen anders: Sofort nach dem Anruf seiner Schwester hatte
Larry Kontakt zu X-RAY-1 aufgenommen. Der Chef der PSA hatte seine
unergründlichen Verbindungen spielen lassen, und die Mitteilungen waren noch in
derselben Stunde von dem Hauptcomputer ausgewertet worden. Demnach gab es um den
Tod des populären Komponisten in der Tat einige Fragen, die nicht geklärt
werden konnten. Es war nur ein Verdacht, doch ein Beamter, der den Unfall
protokollierte, hatte einen Vermerk geschrieben, der erst durch die Auswertung
des Computers Bedeutung erlangte. Und dann gab es noch etwas, was die Polizei
von Salisbury beschäftigte, und worüber sie der Presse bis zur Stunde keine
Mitteilung gemacht hatte: Im Leichenhaus hatte man in den frühen Morgenstunden
einen toten Mann gefunden, der nicht in den Einlieferungspapieren vermerkt war.
Doch um wen es sich handelte, wusste man inzwischen. Es war der entsprungene
Häftling John Taylor. Wie und auf welche Weise und durch wessen Hand er den Tod
gefunden hatte, war bis zur Stunde noch ungeklärt.
Larry hatte den Auftrag, mit dem leitenden Beamten, der den Fall zu klären
hatte, ein Gespräch zu führen. Durch Miriam war er unterrichtet worden, dass Henry Olander , der sich auf
mysteriöse Weise an ihn gewandt hatte, um zwanzig Uhr zu erreichen war – im
Haus des Leichenbestatters Ronald Hopkins.
X-RAY-3 hatte sich vorgenommen, nach neunzehn Uhr im Kommissariat
einzutreffen, um den Fall zu besprechen und vor allen Dingen, um genauere
Hinweise über Henry Olanders Unfall zu erhalten.
Miriam Brent machte keinen besonders glücklichen Eindruck.
»Sie ist mehr als mäßig«, bemerkte sie flüsternd und schüttelte den Kopf.
»Judy Bartmore findet nicht in ihre Rolle hinein.
Jetzt probt sie schon zum sechsten Mal ihren Part .«
Eine andere Schauspielerin, die Miriam nicht näher kannte, stand ebenfalls
als Beobachterin hinter den Kulissen und wandte ihr flüchtig den Kopf zu, weil
sie die Bemerkung deutlich gehört hatte. »Ist das ein Wunder, meine Liebe ?« , bemerkte sie spitz, ohne gefragt zu sein, und zog die
schmalen Augenbrauen in die Höhe. Ihr Gesichtsausdruck zeigte deutlich, was sie
von Judy Bartmore hielt. In ihren Augen war der Neid
zu erblicken, dass sie selbst nie einen derartigen Erfolg errungen hatte.
»Sie ist mit ihren Nerven am Ende. Alkohol, Rauschgift und wer weiß, was
sonst noch alles mit im Spiel ist. Man munkelt da so einiges .«
»Es wird viel geredet«, sagte Miriam Brent. Sie wandte den Blick nicht von
der Bühne, sah, wie verzweifelt Judy Bartmore war –
einem
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