0412 - Ein Grab aus der Vergangenheit
Teil seiner Burg gewesen sein«, flüsterte er.
»Wer hat sie damals zerstört?«
»Ich weiß es nicht. Jedenfalls hat es ein schreckliches Unglück gegeben, das ist mir bekannt. Doch die Chroniken schweigen sich leider darüber aus.«
Die Brüstung bildete praktisch den äußeren Ring. Um tiefer in das Gelände der ehemaligen Burg einzudringen, überkletterte ich die Mauer und gelangte auf steinige Erde.
Zwar waren die Felsen oder Quader im Laufe der Zeit durch Moos und Pflanzen überwuchert worden, aber ich spürte an dem harten Widerstand die andere Geländeform.
Auch der Abbé war misstrauisch geworden. Seine Augen hatten sich verengt. »Allmählich stoßen wir vor in das Zentrum!« hauchte er.
Viel war nicht zu sehen. Nur geschwärzte und überwachsene Fragmente, die die Jahrhunderte überdauert hatten.
Wir schlichen weiter.
Niemand sprach mehr. Ohne darüber geredet zu haben, hatten wir beide das Gefühl, dicht vor dem Wendepunkt des Falles zu stehen. Die Spur in die Vergangenheit war in greifbare Nähe gerückt.
Auch ich spürte die innere Nervosität. Davon konnte sich niemand freisprechen, auch nicht ein Mann wie ich, der ich zahlreiche Abenteuer hinter mir hatte.
Keines davon war mit dem anderen gleich. Irgendwie gab es immer wieder Varianten, wie auch hier.
Da sich die Bestien nicht gezeigt hatten und sich demnach nicht auf der Insel befanden, holte ich meine dünne Leuchte hervor und schaltete sie ein.
Der Abbé war dagegen. »Ist das nicht gefährlich?«
»Ich will das Grab sehen, und wir müssen das Risiko einfach eingehen.«
»Wie Sie meinen.«
Wir zogen einen Kreis, der dann immer enger wurde. Sogar ein alter Torbogen hatte die Zeit noch überstanden. Durch schritten wir und verließen wieder das ehemalige Burggelände.
»Allmählich verliere ich die Geduld«, sagte der Abbé.
Ich lächelte schief. »Das sollte man nicht.«
»Und wenn alles eine Täuschung gewesen ist?«
»Konzentrieren wir uns auf die Wölfe.«
»Das sagen Sie so einfach.«
Die Erfahrung hatte mich gelehrt, mehr Geduld als andere zeigen.
Und so ging ich auch vor. Noch einmal suchte ich las Gelände hinter dem Torbogen ab und geriet dabei in den Bereich, der bereits von dschungelartigem Pflanzenwuchs überwuchert wurde.
Dicht davor und fast flach auf dem Boden sah ich etwas Dunkles schimmern. Nur für einen winzigen Moment, weil der Lampenschein darüber hinweggehuscht war.
Ich holte ihn zurück und leuchtete genauer.
Dabei ging ich zwei Schritte vor und wusste plötzlich, dass ich Hector de Valois’ letzte Ruhestätte gefunden hatte.
Das musste einfach sein Grab sein.
»Abbé Bloch!« rief ich.
Er hörte mich und kam. Als er eine Frage stellen wollte, deutete ich auf die dunkle Platte.
»Ist es das?« fragte ich.
Er starrte hin, seine Stirn legte sich in Falten, dann hob er die Schultern. »Ja, das kann sein.«
Ich fiel auf die Knie, leuchtete die Platte an und maß die Umrisse ab. Sie waren größer als die eines normalen Sarges. Auf der Platte lag noch ein Deckel. Und er war ebenfalls aus Stein. Wahrscheinlich zu schwer für uns beide.
Ich zog meinen Dolch, was den Abbé wunderte. »Was wollen Sie denn damit anstellen?«
»Das Moos abkratzen. Schauen Sie sich das doch mal an. Das ist die Patina der Natur. Bitte, halten Sie die Lampe.«
Er tat mir den Gefallen, und ich begann mit meiner Arbeit. Mit dem Dolch schabte ich über den Stein. Was die Schneide alles abkratzte, setzte sich aus Moos, Flechten und Dreck zusammen. Diese Dinge waren eine zähe, fast gummiartige Verbindung eingegangen.
Wenn tatsächlich das Grab von Hector de Valois vor mir lag, durfte die Entdeckung an diesen banalen Dingen nicht scheitern.
Verbissen machte ich weiter. In das Kratzen der Klinge hinein stieß mein scharfer Atem. Schnell war ich schweißnass, aber ich dachte nicht an Aufgabe.
Ich fühlte Unebenheiten unter der Schicht, als hätte jemand etwas in die Grabplatte hineingeritzt.
Ein Zeichen, Motiv oder Sigill.
Nach einer Viertelstunde war ich so weit. Die Platte lag fast frei vor mir, nur an den Rändern zeigte sich noch eine Schicht, aber das störte mich nicht. Zudem ragte sie etwas aus dem Boden hervor.
Wenn wir sie hochheben wollten, konnten wir mit den Händen auch unter die Ränder fassen.
»Und?« fragte der Abbé »Geben Sie mir die Lampe.«
»Was ist denn?«
»Machen Sie schon.« Ich war plötzlich aufgeregt, denn ich hatte die Motive auf der Grabplatte erkannt, wollte aber auf Nummer sicher gehen
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