0412 - Ein Grab aus der Vergangenheit
und leuchtete drauf.
An der Oberseite begann ich.
Dort befand sich das erste Motiv. Es war der Kopf eines Mannes, und man hatte ihn als Profil in den Stein geritzt. Dieser Kopf wurde von einem Kranz umgeben, der mich nicht weiter interessierte, denn meine Aufmerksamkeit galt dem Gesicht.
Kannte ich es?
Wahrscheinlich, denn so fremd waren mir die Züge nicht. Ich hatte das Gesicht allerdings nicht so in der Erinnerung, sondern wesentlich jünger, straffer und nicht so eingefallen.
»Das muss er sein!« flüsterte der Priester.
»Meinen Sie Hector de Valois?«
»Genau den.«
Der Gedanke an Widerspruch kam mir nicht. Auch ich war zu der Überzeugung gelangt, den Kopf des Mannes vor mir zu sehen, den ich als Mann in den besten Jahren bei meiner Reise in die Vergangenheit kennen gelernt hatte.
Er war alt geworden, hatte sich stark verändert. Sein genaues Alter aber war mir ebenso unbekannt wie das Sterbedatum des Mannes.
»Dann müssen seine Gebeine unter der Platte liegen!« Der Priester hatte die Worte rau geflüstert. Man merkte, wie sehr der Mann unter Stress stand.
»Ja, vielleicht.«
»Und was ist noch auf der Platte? Leuchten Sie mal weiter, Monsieur Sinclair.«
Das tat ich. Ich hatte es schon geahnt, gesehen und auch gefühlt, aber ich wollte die Bestätigung und leuchtete den Gegenstand auf der Platte an, der sich im unteren Drittel befand.
»Mein Gott, das ist es!« sagte der Priester mit kaum verständlicher Stimme.
Er hatte Recht, das war es auch. Und zwar mein Kreuz!
***
Sie waren wie die Wilde Horde der Germanen durch die finstere Nacht gejagt. Ihre Pferde hatten sie fast bis zur Erschöpfung vorangetrieben, sodass den Tieren der Schaum vor die Mäuler trat und der Wind ihre Mähnen hochstellte.
An der Spitze ritt Manon Medoque. Sie spürte die Kraft einer Großen in sich. Seit der Herold es geschafft hatte, Lupina zu projizieren, war viel von dem, an das sie glaubte, auf Manon übergegangen. Aus diesem Grunde fühlte sie sich auch so wohl und sicher.
Manchmal lachte sie auf. Dann flog ihr dieses Lachen wie ein schauriger Gruß voraus.
Es war ihre Welt, es war ihre Nacht. Hier würde sie allein gewinnen. Kein anderer sollte ihr mehr in die Quere kommen. Auch nicht dieser Fremde. Er sollte merken, dass er am Ende seines Weges angelangt war. Nicht umsonst hatte sie ihren Leibwächter und den Herold zurückgelassen. Die beiden konnten sich mit ihm beschäftigen.
Die Hänge waren sie hochgeritten, in die Wälder hineingejagt, aber sie hatten keine Menschen überfallen, denn auf Manon Medoque wartete eine große Aufgabe.
Und so hatte sie ihre Horde nach einer Weile wieder zum Fluss hinuntergetrieben, wo die Bestien von den Pferden stiegen und die Tiere wegjagten.
Zurück blieben Manon und elf ihrer Diener.
Diese hatten einen Kreis um ihre Anführerin gebildet und starrten ihr aus gelben Raubtieraugen ins Gesicht. Auch in ihrer menschlichen Gestalt waren sie immer Befehlsempfänger gewesen, jetzt konnten sie nicht anders reagieren.
Manon nickte. Sie wusste, dass sie sich auf die Bestien verlassen konnte, und sie drehte sich um, damit sie über das Wasser zeigen konnte.
Auf einen Fleck inmitten der breiten, aber nicht sehr tiefen Wasserfläche konzentrierte sich die Fingerspitze.
Es war die Insel, ihr Ziel!
Und sie nickte den Werwölfen zu, die das Gleiche taten wie sie.
Sich umdrehten und in das Wasser stiegen.
Einige von ihnen schlugen einen großen Bogen, sodass sie von allen Seiten auf die Insel waten oder zuschwimmen konnten.
Damit nahm das Schicksal seinen Lauf…
***
Es war das Kreuz, es war mein Kreuz, denn ich sah genau die gleichen Zeichen, bis auf eine Kleinigkeit.
Die magischen Bannsprüche in der Mitte des anderen Kreuzes waren da noch vorhanden.
Bei mir jedoch nicht. Da hatte Lilith, die große Hure und Verbündete Luzifers meinen Talisman entzaubert.
Ich hatte den Atem angehalten und spürte wieder die Stiche in meinem Kopf. Für einen Moment war mein Denken völlig ausgeschaltet. Ich schaute nur auf das Kreuz und fragte mich, wie es auf die Oberseite dieser Grabplatte gekommen war.
»Wissen Sie es?«
Der Abbé hatte verstanden. »Nein, es tut mir Leid. Ich kenne mich da nicht so aus. Sie haben doch gesagt, dass Ihr Kreuz eine lange Reise hinter sich gehabt hat.«
»Das stimmt.«
»Dann muss es sich auch mal in Hectors Besitz befunden haben. Wie hätte es sonst auf der Grabplatte abgebildet werden können? Ich sehe da keine andere Möglichkeit.«
Eigentlich
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