0412 - Ein Grab aus der Vergangenheit
bestehen können. Das andere ist unser Feind, und Feinde müssen vernichtet werden. Das weißt du selbst, John Sinclair. Ich spüre die Kraft in mir. Lupina hat sie mir gegeben. Ich rief die Königin der Wölfe an, sie erhörte mich und stellte sich nicht gegen meinen Wunsch. Sie akzeptierte es, dass ich die Führung übernahm.«
»Weißt du, was sich in diesem Grab befindet?«
»Ein Toter.«
»Möglich.«
»Es ist nicht leer!« fuhr sie mich an. »Sonst wärt ihr nicht gekommen, um…«
Ich wunderte mich darüber, dass sie nicht weitersprach. Plötzlich senkte sie den haarigen Schädel, ein grunzender Laut drang aus ihrem Maul, und sie knirschte mit ihren Reißzähnen.
Etwas musste sie beschäftigen und ablenken. Sie war durcheinander, auch die anderen Wölfe merkten es. Ich hörte ihre »Unterhaltungen«. Mehr fauchende, zischende Laute, manchmal von einem abgehackt klingenden Schrei begleitet.
Was Manon Medoque beschäftigte, wusste ich nicht und fragte deshalb den Abbé.
»Ich habe keine Ahnung!« flüsterte er. »Etwas muss sie stören. Vielleicht dein Kreuz.«
»Kann sein.«
Dann hob Manon den Kopf. Gleichzeitig schnellten ihre Pranken vor, und dann hatte sie mich. Ich spürte die scharfen Krallen auf den Schultern, doch sie verletzten mich nicht. Manon blieb so stehen, als wollte sie mit mir eine enge Tanzhaltung einnehmen.
Ich hatte meine Hand in die Tasche geschoben, wo die Finger das Kreuz fanden. Wenn die Werwölfin durchdrehte, würde ich mich schon zu wehren wissen.
Aber sie blieb vernünftig. Nur eine Frage hatte sie. »Was ist das?« keuchte sie. »Was hast du gemacht?«
»Nichts!«
»Doch!« Sie hob den Kopf an. Ich schaute jetzt direkt in ihre Augen. »Eine fremde Kraft ist da. Eine Seele, ein Geist, der mich stört. Er muss in unsere Verbindung hineingeraten sein.«
»In welche?«
Die Pranken der Wölfin rutschten von meinen Schultern ab. »In die zwischen mir und Lupina. Sie ist auch eine Wölfin, aber anders, sie stemmt sich gegen mich.«
Ich verstand die Welt nicht mehr. Ohne dass ich etwasdazugetan hätte, sackte die Bestie vor mir zusammen. Sie wirkte erschöpft und konnte sich kaum auf den Beinen halten.
Auch mein Begleiter wunderte sich. »Damit habe ich nichts zu tun!« verriet er. »Schade, ich wollte, ich hätte es.«
»Wer ist es?« Ich sprach die Werwölfin direkt an. Wenn sie mich verstand, musste sie auch eine Antwort geben können.
Manon Medoque breitete ihre Arme aus. »Sie, sie kennt dich genau, verdammt! Ja, sie hat sogar deinen Namen erwähnt. Sie ist eine Wölfin, aber fast ein Mensch. Sie ist ein Zwitter und gefährlich. Sie muss uns einfach kennen. Du musst sie kennen. Sie hat sich geteilt. Sie spürte die Magie der anderen, ist hineingeraten. Kennst du sie?«
Nach der letzten Frage hatte Manon den Kopf erhoben. Das Maul stand offen. Geifer rann daraus hervor. Er tropfte klatschend zu Boden und fiel genau zwischen ihre schräggestellten Füße, wo er eine schaumige Lache bildete.
Der Abbé stieß mich an. »Das muss mit dir und deinem Schicksal zusammenhängen«, sagte er. »Wer ist diese andere?«
»Keine Ahnung.«
»Wirklich nicht?«
Die Frage hatte so geklungen, als würde er mir nicht glauben.
Verdammt, ich hatte eine Ahnung, aber ich konnte mir selbst kaum trauen. Es gab noch eine Wölfin, die so reagierte, wie Manon es gesagt hatte.
»Du musst sie kennen. Sie versucht, dich zu retten. Sie hat es gespürt, dass du auf verlorenem Posten stehst, aber sie wird es nicht schaffen!« Auf einmal bäumte sich ihr Körper auf. Sie bog den Rücken durch, riss die Arme hoch und schüttelte den Kopf. »Nein, sie wird es nicht schaffen! Lupina ist stärker. Zurück! Zurück in deinen Körper!«
Da wusste ich Bescheid.
Manon Medoque konnte nur von Nadine Berger gesprochen haben!
***
Also doch – sie war es!
Es war ihr gelungen, das magische Gefängnis zu durchbrechen und sich zweizuteilen.
Wie damals , dachte Bill Conolly. Genau wie damals in der Urwelt.
Sollten hier etwa die gleichen Verhältnisse herrschen?
Bills Gedanken wurden unterbrochen, denn er musste sich auf den Körper konzentrieren, der über dem Wolf schwebte. Ein feinstofflicher Körper mit menschlichen Umrissen. Das geisterhafte Abbild der echten Nadine Berger.
Kaum zu fassen.
Aber weshalb war sie aus dem Körper ausgetreten? Es musste einen Grund geben, den weder Sir James, Bill noch Suko kannten.
Dieser Grund musste ungemein stark sein.
Sir James schwitzte. Er hatte Mühe, die
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