0412 - Wo Canaro wütet
ihn wohl aus Italien geholt, wie sie mir mal erzählte… wie er dahin gekommen ist, weiß allerdings keiner mehr.«
»Sie sind mit Professor Zamorra bekannt?«
»Kann man sagen, ja. Aber ich denke, Sie sollten erst mal zusehen, daß Sie ein Zimmer bekommen. Vielleicht treffen Sie den Professor heute abend auch hier unten.«
»Er kommt ins Dorf? Wann?«
»Heute abend. Eine kleine Strandfete in einem verschwiegenen Uferwinkel. Wissen Sie was? Ich schaue nachher mal bei Mostache herein. Dann haben Sie sicher schon telefoniert und wissen mehr. Jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe noch etwas zu tun.«
»Ja, natürlich«, sagte sie heiser.
Er wandte sich um und ging auf das kleine Haus zu. Ihr Blick fiel auf seine Hand; er trug einen Trauring.
Langsam senkte sie den Kopf. Das war Pech. Der Mann gefiel ihr. Sie konnte sich vorstellen, mit ihm zusammenzusein, zu flirten, zu küssen… und mehr. Aber daß er verheiratet war, komplizierte alles.
Ja? Wieso? Wenn du den Jungen haben willst, nimm ihn dir doch! Er wird dir aus der Hand fressen, wenn du es nur willst! Du hast die Macht dazu…
»Nein«, flüsterte sie verbittert. »Nicht so… nicht so…«
Närrin!
Hatte Pascal Lafitte ihr Flüstern gehört? An der seitlichen Haustür wandte er sich noch einmal um und sah sie immer noch neben dem Wagen stehen. Er zögerte, schien nicht genau zu wissen, ob er nicht doch noch einmal zurückkommen sollte. Aber dann betrat er das Haus.
Sibyl hätte am liebsten laut aufgeschrieen.
Aber hier, auf offener Straße, wagte sie das nicht.
Und sie hatte plötzlich Angst.
Angst, daß alles in einer einzigen großen Katastrophe enden würde…
***
Zamorra war jetzt ebenfalls nachdenklich geworden. Wenn zwei Menschen die gleiche Empfindung verspürten, mußte schon etwas an der Sache sein. Und Nicoles Gespür traute er noch eher als Pascal Lafitte.
Wenn sie behauptete, daß etwas an diesen beiden mysteriösen Vorfällen sein könnte, dann stimmte es mit größter Wahrscheinlichkeit.
Nicole hatte hin und wieder diese Ahnungen, und sie bewahrheiteten sich im Regelfall.
Daß Pascal darüber gestolpert war, mußte eher ein Zufall sein. Pascal besaß diese Spürnase nicht, diese übersinnliche, unerklärliche Empfindung. Dafür besaß er einen klaren, fast schon kriminalistischen Verstand. In einer ausländischen Zeitung über diese beiden, nicht einmal nebeneinander gedruckten Meldungen zu stolpern und sie miteinander in Verbindung zu bringen, dazu gehörte schon etwas.
»Das heißt«, sagte er gedehnt, »daß wir den Trip zum Silbermond noch aufschieben und erst nach New York fliegen müssen, wie? Kannst du dir vorstellen, daß ich eigentlich gar keine Lust dazu habe?«
Nicole lächelte.
»Sehr gut. Ich habe nämlich weder zu der einen Planung, noch zu der anderen trüben Aussicht Lust…«
»Warten wir es also einfach ab. Zwischenzeitlich sollten wir feststellen, welche und wie viele Vorräte wir für den Grillabend opfern können…«
»Laß das Raffael machen, der kennt sich besser in der Vorratskammer aus«, sagte Nicole. »Außerdem…«
Die Sprechanlage störte schon wieder.
»Ein dringender Anruf für Sie, Monsieur Professor. Die Anruferin will sich nicht vertrösten lassen…«
»Das ist ja heute wie im Taubenschlag«, beschwerte sich Zamorra. »Alle paar Minuten kommt irgendwer und will irgendwas. Langsam habe ich für heute genug.«
»Es handelt sich um eine Amerikanerin«, fügte Raffael hinzu.
Zamorra seufzte abgrundtief. »Also gut«, sagte er. Raffael konnte ihn über die Sprechanlage hören, solange er nicht selbst redete. »Schalten Sie mir das Gespräch auf den nächsterreichbaren Apparat. Danke…«
»Apparat fünf, Monsieur«, sagte Raffael.
Zamorra warf Nicole einen resignierenden Blick zu. »Amerikanerin«, sagte er leise. »Ferngespräch. Zeitungsartikel aus New York. Was sagt dein sechster Sinn?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Nicole. »Rede einfach erst mal mit ihr, dann sehen wir weiter…«
***
Sibyl hatte sich im Gasthaus einquartiert. Das Zimmer war klein, aber halbwegs komfortabel. Sie ließ sich auf das schmale Bett sinken.
So weit hatte sie es also geschafft.
Sie mußte an Pascal Lafitte denken. Immer wieder sah sie ihn vor ihrem geistigen Auge, hörte ihn sprechen, sah sein gewinnendes Lächeln… und ausgerechnet dieser Mann mußte schon vergeben sein!
Hatte sie sich in ihn verliebt?
Sie war sich nicht sicher, ob es Verliebtsein war, oder mehr, oder weniger. Sie war
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