0414 - Ein Goldfisch unter Großstadt-Haien
raschen Blick nahm ich das Bild der Dunkelhaarigen in mich auf. Dann konzentrierte ich mich auf May Hunter, über deren Gesicht jetzt ein Leuchten wie ein kurzer Lichtschein wischte.
Die grauen Augen waren auf den Blonden gerichtet, und auch in seine Züge malte sich jetzt ein milder Abglanz von Zärtlichkeit. — »Wie ich sehe, kennen Sie sich bereits«, murmelte ich. »Darf ich um Ihren Namen bitten?« Die Frage galt dem Blonden.
Er reagierte mit aufreizender Langsamkeit, drehte den Kopf, blickte mich gelangweilt an, fragte: »Sind Sie Polizist?« Sein.Ton ließ erkennen, daß er von Polizisten nicht viel hielt.
»Ich bin G-man. Mein Name ist Cotton.«
»Ich heiße Bill Conax.«
May Hunter schlug ihre langen, nackten Beine übereinander. An den Unterschenkeln flimmerten ein paar winzige, dunkle Härchen. »Bitte, nehmen Sie Platz, Mister Cotton. Das ist Mrs. Corinna Hunter.«
Ich nickte der Frau artig zu. Sie senkte den Kopf um einen halben Zentimeter und hob ihn dann wieder genausoviel. Wahrscheinlich war das ein Nicken.
Als ich mich auf einen der vier Sessel niederließ, saß der Blonde schon. Unaufgefordert. Er schien sich hier wie zu Hause zu fühlen und rückte seinen Sessel dicht neben den von May Hunter.
»Ich weiß nicht«, sagte ich zu May Hunter, »wie gut Sie Mister Conax kennen. Es ist normalerweise nicht üblich, daß ein Unbeteiligter an einem Gespräch wie diesem dabei ist. Deshalb…«
»Bill ist nicht so unbeteiligt, wie Sie denken, Mister Cotton«, sagte die Frau. »Bill ist ein sehr guter Freund von mir. Alles was mich betrifft, geht ihn viel an. Mehr als meinen Mann Joe. Leider habe ich Bill erst kennengelernt, als ich schon verheiratet war, sonst wäre meine Wahl anders ausgefallen. Wenn Joe nicht zurückkommt, werden Bill und ich heiraten.«
»Das heißt, daß es gut in Ihre Pläne paßt, wenn Ihr Mann nicht wieder auftaucht.«
»Ob er zurückkommt oder nicht, ist gleichgültig. Es hat sich jetzt herausgestellt, daß er ein Verbrecher ist, ein Heiratsschwindler, daß er es wahrscheinlich nur auf mein Geld abgesehen hatte. Wenn er zurückkommt, lasse ich mich scheiden. Und wenn nicht… Nun, dann ist es mir auch egal.« Sie strahlte den Blonden an und mußte sich dann offensichtlich Mühe geben, ihren Blick von ihm zu reißen.
»Mrs. Hunter«, diesmal meinte ich die Dunkelhaarige. »Bitte, erzählen Sie mir alles, was Sie über Joe Hunter wissen. Beginnend mit dem Tage, da Sie ihn kennenlernten.«
Ich erfuhr eine traurige Geschichte. Der Blonde hörte gebannt zu. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel. Als die Frau geendet hatte, fragte ich nach Namen und Adresse der Privatdetektei. Es war eine Chicagoer Firma. Ihr Chef hieß Lester Queed. Ich stellte noch ein Dutzend Fragen. Langsam rundete sich das Bild von Joe Hunter ab. Ohne daß sich eine der beiden Frauen zu irgendwelchen haßerfüllten Äußerungen hinreißen ließ, gewann ich den Eindruck, daß Hunter ein skrupelloser, geldgieriger Mitgiftjäger sei.
Der Blonde schien plötzlich eine Erleuchtung zu haben. »May«, rief er, »das Verschwinden deines Mannes erklärt sich doch ganz einfach. Er wußte, daß du jetzt keinen Cent mehr besitzt. Das bedeutet, daß du für ihn nicht mehr interessant bist. Was tat er? Er machte sich sofort aus dem Staube. Wahrscheinlich ist er jetzt schon auf der Suche nach einem neuen Goldfisch, den er in seine Netze locken kann.«
»Richtig, Bill.« May Hunter blickte den Blonden fasziniert an. »Das ist die Lösung. Das ist eine Erklärung. Nur so kann es sich verhalten.«
Bevor ich etwas dazu sagen konnte, klingelte das Telefon. May Hunter erhob sich, ging mit sanft schwingenden Hüften zu dem kleinen Tisch, auf dem der Apparat stand, und nahm den Hörer ab.
»Für Sie, Mister Cotton«, sagte sie, nachdem sie sich gemeldet und dann wenige Sekunden gelauscht hatte.
Ich trat zu der Frau. Ihr Parfüm duftete ganz leicht nach frischem Heu. Das Bakelit des Hörers fühlte sich noch warm an von ihrer Hand. Ich meldete mich.
»Mister Cotton«, zirpte eine aufgeregte Frauenstimme durch den Draht. »Beim FBI-Gebäude habe ich Ihren Namen erfahren, habe ich erfahren, daß Sie es waren, der mich letzte Nacht von Johnny Star befreit hat. Ich weiß auch, daß ich gesucht werde. Nicht nur von Ihnen. Johnny Star mit seiner Bande ist hinter mir her. Irgend jemand muß uns belauscht haben, und der hat dann…«
»Sie sind Flora Rochelle?« Ich fragte nur, um ganz sicher zu sein.
»Natürlich. Wissen Sie,
Weitere Kostenlose Bücher