0414 - Ein Goldfisch unter Großstadt-Haien
Häuser. Die vierte Seite war eine hohe, brüchige Mauer. Niemand war zu sehen.
»Das Fenster dort führt in die Toilette.« Fletcher streckte den Arm aus. »Es ist offen. Besser können wir's gar nicht treffen.«
Haskin schnaufte. »Da komme ich nicht durch.«
»Weil du zu fett bist.«
»Gibt’s nicht irgendwo eine Tür?«
»Dort hinter dem Mauervorsprung. Aber sie ist bestimmt verschlossen.«
»Mal sehen.« Haskin wälzte seine ungefüge Figur in die bezeichnete Richtung. Fletcher blieb hinter ihm. Noch bevor die beiden den Mauervorsprung erreicht hatten, vernahmen sie das leise Klappen einer Holztür.
Eine Sekunde später tauchte die dürre Gestalt des rachitischen Barmädchens auf. Es trug eine Schüssel, hielt den Rand mit beiden Händen umklammert und hatte den Kopf in den Nacken geworfen — offenbar, um das Gleichgewicht zu stützen und um den Geruch nicht in die Nase zu bekommen, den der Schüsselinhalt verströmte. Es waren Abfälle.
Das Mädchen blieb stehen. Das verhungerte Gesicht drückte jähen Schrecken aus. Die großen dunklen Augen wurden weit aufgerissen. Spitz stachen die Backenknochen durch die gelbfahle Haut des schmalen Gesichts.
»Hallo«, sagte Haskin und klebte ein schiefes Grinsen in sein Teiggesicht. »Zu dir wollten wir, Püppchen.« Er griff in die Hosentasche. »Ich habe hier ein Messer. Wenn du nicht spurst, werde ich dir damit die Ohren abschneiden.« Er sprach halblaut. »Dreh dich um und geh wieder ins Haus! Wir sind hinter dir.«
Das Mädchen schüttelte verzweifelt dgn Kopf, machte dann auf dem Absatz kehrt und verschwand hinter dem Mauervorsprung. Haskin blieb einen knappen Schritt hinter dem Girl. Fletcher blickte sich noch einmal im Hof um, bevor er das Haus betrat.
Die Tür führte in einen dunklen Flur. Er roch nach Kohl und angebratenem Fleisch.
Fletcher schloß die Tür. Haskin hielt das Girl bereits am Arm gepackt. Der Arm war so dünn wie der eines kleinen Kindes, dabei aber knochig und in schlaffe Haut gehüllt. Es war ein Arm, der in jedem normal empfindenden Menschen Mitleid hervorgerufen hätte. Haskin empfang nichts. Für ihn war das armselige Geschöpf nur ein Mittel zum Zweck, nur eine von mehreren Stationen auf dem Weg zu einer Tasche mit hunderttausend Dollar als Inhalt.
»Bist du allein im Haus?«
»Mein Vater ist noch da.«
»Wo?«
»Oben. Er schläft.«
Während Haskin das Mädchen gepackt hielt, stieß Fletcher eine Tür auf. Sie führte in eine schmuddelige Küche, die zu einem Drittel von einer riesigen Kühltruhe eingenommen wurde.
Haskin schob das Mädchen in den Raum.
»Wie heißt du?«
»Penny Wards.« In ihren schwarzen Augen nistete die Angst. »Bitte, tun Sie mir nichts.«
»Kennst du mich?« fragte Fletcher.
Das Mädchen nickte. »Sie waren gestern hier. Sie haben doch auf den Poli…« Sie merkte, daß sie auf dem besten Wege war, sich um ihr Leben zu reden. Aber es war schon zu spät. Fletcher vollendete den Satz: »… Polizisten geschossen, wolltest du sagen. Nicht wahr?« Fletcher blickte seinen Komplicen an. »Sie muß weg. Zwei Zeugen reichen, um mir das Genick zu brechen.«
Haskin antwortete nicht. Seine eisigen Froschaugen waren auf das verhungerte Gesicht gerichtet.
»Sie muß weg. Hast du nicht gehört?« knurrte Fletcher.
»Das hat Zeit.« Haskin verzog seinen kleinen Mund zu einem Grinsen. »Du kennst doch Ferdinand Kramer, Penny?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
In der gleichen Sekunde schlug der Fette zu. Das arme Geschöpf wurde zurückgeworfen und sank dann stöhnend zu Boden.
»Du kennst Kramer?«.
Penny nickte. Ihr kleines Gesicht war verzerrt. Mühsam richtete sie sich auf. »Wann macht ihr euren Laden auf?«
»Um sechs.«
»Wann kommt Kramer?«
»Ich weiß es nicht.« Als Penny in die eisigen Froschaugen blickte, fügte sie schnell hinzu. »Er kam sonst immer gegen acht. Aber gestern ist er nicht gekommen. Ich weiß nicht, ob er heute kommt. Es hat sich ’rumgesprochen, daß Kramer gesucht wird — von den Polypen. Er wird sich hüten, hier aufzutauchen.«
»Führ uns zu deinem Vater!«
Pennys Gesicht hatte eine grünliche Farbe angenommen. Das Girl hielt die dünnen Hände auf den Magen gepreßt, atmete stoßweise und war so schwach, daß es jeden Augenblick umf allen konnte.
Haskin stieß sie in den Flur. »Laß dir nicht einfallen, schlappzumachen!« Das Mädchen schlurfte zu einer Treppe und stieg langsam hinauf. Haskin und Fletcher folgten. Im ersten Stock gab’s vier Zimmer. In
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