0417 - Silbermond-Vampir
würde. Es war anzunehmen, daß er nicht wieder versuchen würde, hier einzudringen. Aber… eine wirkliche, hundertprozentige Sicherheit gab es nie.
Tendyke hatte nicht vor, den Aufenthalt im städtischen Hospital länger als unbedingt nötig auszudehnen.
Julian war da.
Immer wieder, wenn Rob Tendyke den gesunden Jungen sah, fühlte er, wie ihn eine ungeheure Welle der Zuneigung durchströmte. Er liebte diesen Jungen, wie er auch dessen Mutter liebte, die insgesamt siebzehn Stunden gebraucht hatte, Julian in die Welt zu entlassen. Sie war erleichtert und erschöpft, und diese Erleichterung teilte sie mit einem Gefühlsstrom auch ihrer Schwester und dem Abenteurer mit.
Ich bin!
Auch Tendyke hatte diesen Gedankenimpuls aufgenommen, und er konnte wie auch die beiden Mädchen die dazu gehörenden Bilder deuten. Er wußte, daß er mit seinen bisherigen Vermutungen über das Kind recht hatte, daß diese Vermutungen nun möglicherweise sogar weit übertroffen werden würden.
Julian Peters war einerseits ein ganz normales, gesundes Menschenkind.
Aber dennoch war er anders.
In sich trug er das telepathische Erbteil seiner Mutter - und er trug in sich das, was er an Fähigkeiten und Geheimnissen von seinem Vater bekommen hatte. Tendyke hatte niemals darüber gesprochen, was sich alles an Geheimnissen in den Tiefen seiner Vergangenheit und seiner Entwicklung verbarg, nicht einmal den Zwillingen gegenüber, und sie hatten auch nie den Versuch gemacht, ihrer Neugierde nachzugeben und mit einem telepathischen Versuch seine Erinnerungen zu erlauschen. Wenn er es für richtig hielt, seine Geheimnisse zu bewahren, dann sollte er sie auch behalten. Eines Tages würde die Zeit kommen, wo er von selbst darüber zu reden begann…
Noch war es nicht soweit.
Wenn es jemanden gab, der dennoch über Robert Tendyke Bescheid wußte, dann war es sein Sohn Julian Peters…
An das leise Summen der Klimaanlage hatte Tendyke sich gewöhnt, der entspannt zurückgelehnt auf einem Stuhl ggenüber dem Bett saß und glücklich zusah, wie Uschi Peters den Jungen stillte.
Monica hatte sich im Nebenraum aufgehalten und versucht zu schlafen. Ihre enge Empfindungsbindung an ihre Schwester ging so weit, daß sie auch das Kind gewissermaßen als ihr eigenes »adoptiert« hatte. Wenn Uschi nach den kurzen Ruhepausen aufschreckte, weil der Junge sich bemerkbar machte, fand auch Monica keine Ruhe mehr, selbst wenn sie sich im schalldicht abgetrennten Nebenzimmer aufhielt.
Jetzt trat sie ohne anzuklopfen ein, in ein kurzes, buntes Kleid gehüllt, das ihre langen Beine zeigte. Sie Lächelte, küßte Tendyke, ihre Schwester und das Kind und ließ sich auf Tendykes Stuhllehne nieder.
»Wird Zeit, daß wir wieder nach Hause kommen«, behauptete sie. »Ich habe das Gefühl, daß die Klimaanlage nebenan allmählich ihren Geist aufgibt. Und zu Hause kann man wenigstens nackt herumlaufen, ohne daß alle anderen große Augen machen und Sittenverfall und Morallosigkeit predigen… mir klebt dieser Fetzen schon wieder am Körper…«
»Zieh ihn doch aus«, schlug Tendyke vor. »Hier im Zimmer schaut doch niemand hinterher. Das gute Stück brauchst du doch nur, wenn du über den Gang wanderst. Hier sind wir doch unter uns…«
»Nicht mehr lange«, gab sie bedauernd zurück. »Wir bekommen…«
»… Besuch«, fuhr Uschi mit der gleichen Stimme fort. Sie waren wieder beide auf der gleichen Wellenlänge. »Aber vielleicht solltest du diesen Besuch erst gar nicht zur Etage hochlassen, sondern unten am Emfang abfertigen…«
Die Warnung alarmierte ihn.
Die Zwillinge mußten die Bewußtseinsaura eines Besuchers aufgenommen haben, der mit Sicherheit unerwünscht war.
Er brauchte nicht nachzufragen, ob es sich um Freund oder Feind handelte. Kaum jemand wußte, wo sie sich befanden, weil Tendyke es nicht für nötig gehalten hatte, den vorübergehenden Adressenwechsel herauszuposaunen. Selbst im Freundeskreis nicht. Wer gratulieren wollte, konnte damit auch noch ein paar Tage warten.
»Er betritt eben das Krankenhaus«, teilte Monica mit. »Wir schirmen uns zwar ab, bloß scheint er genau zu wissen, daß er uns hier findet…«
»Ich bin schon unten!«
Tendyke stürmte aus dem Zimmer. Auch jetzt trug er, wie bei ihm gewohnt, seine Lederkleidung im Country-Stil und gleich, mit hochhackigen Stiefeln und breitrandigem Leder-Stetson, einem Cowboy aus einem Western-Film. Bloß auf den Colt hatte er selbstverständlich verzichtet. Man mußte ja nicht alles
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