0420 - Der Magier von Lyon
Rätsel.
Er konnte Vaultier nicht mehr stoppen, der den Wagen schon auf das Tor in der Umfassungsmauer zusteuerte. Er konnte auch nicht mehr die Zugbrücke liften, um dem Angetrunkenen die Durchfahrt zu versperren.
Aber warum wollte er sich auch selbst mit Vaultier anlegen? Dafür gab es Leute, die besser geeignet waren.
Zamorra suchte sein Arbeitszimmer auf. Von dort aus rief er die Polizei in Feurs an, gab das Kennzeichen des Wagens durch, das er sich gemerkt hatte, und gab den Beamten den Tip, daß der Fahrer des Wagens unter erheblichem Alkoholeinfluß stehe. Damit hatte er getan, was er für richtig hielt, um das Risiko zu vermindern, daß Vaultier mit seinen acht oder neun Cognacs einen Unfall baute und vielleicht noch andere Verkehrsteilnehmer in Mitleidenschaft zog. Alles andere war jetzt Sache der Polizei.
Nur kurz machte er sich Vorwürfe, nicht gleich zu Anfang auf die Trunksucht seines Besuchers geachtet zu haben, aber konnte er schließlich mit dieser Verantwortungslosigkeit rechnen? Als Vaultier zu trinken begann, hatte Zamorra angenommen, der Winzer könne sich das erlauben, weil draußen ein Chauffeur auf ihn wartete.
»Der nächste, der kommt, kriegt nur Kamillentee«, murmelte Zamorra verdrossen.
Er überlegte, wie er am kommenden Tag vorgehen sollte, und allmählich kristallisierte sich ein Plan heraus.
***
Zamorra mochte es nicht, früh aufzustehen, aber in diesem Fall erwies es sich als nötig. Der halbe Vormittag ging allein für Telefonte drauf, bis er endlich soweit war, daß er sich in den Wagen setzen und nach Lyon fahren konnte.
Er suchte das Anwaltsbüro Mondee & Partner auf. Jaques Mondee, der Senior, war André Roquets Rechtsbeistand. Bei ihm hatte Zamorra sich telefonisch angekündigt, aber nicht verraten, auf welchem Wege er erfahren hatte, wer Roquet vertrat.
Schweigend hörte Mondee senior sich Zamorras Anliegen an. Schweifend stand er auf, trat ans Fenster und sah nach draußen in den blühenden Vorgarten. Immer noch schweigend kam er an seinen Schreibtisch zurück und ließ sich dahinter nieder.
»Was, Zamorra, sollte mich eigentlich daran hindern, Ihnen die Gewährung Ihrer Bitte zu verweigern?«
»Ihr gesunder Menschenverstand, Mondee«, erwiderte Zamorra gelassen, bequem im Sessel zurückgelehnt und die Beine übereinandergeschlagen. Wie ein weltfremder Gelehrter sah er nicht gerade aus, der durchtrainierte, hochgewachsene Mann mit den markanten Gesichtszügen, die ihn jünger erscheinen ließen, als er in Wirklichkeit war. »Und Sie sind wirklich Parapsychologe?« wurde er von Mondee gefragt. »Ein Mann, der mit einem äußerst ungewöhnlichen Anliegen bei mir auftaucht, nachdem er aus Quellen, die er nicht preisgibt, erfahren hat, wer André Roquet vertritt… das ist doch äußerst dubios, Zamorra, und verstehen Sie mein Mißtrauen bitte nicht falsch, aber…«
Zamorra lächelte und hob die Hand.
»Es steht Ihnen frei, Erkundigungen über mich einzuziehen. Ich bin weder Reporter für irgend welche obskuren Regenbogenzeitungen, noch Agent einer terroristischen Organisation, die Kontakt mit einem ihrer inhaftierten Mitglieder aufnehmen möchte…«
Mondee lächelte kühl. »Wenn ich Sie für einen Terroristen hielte, würde ich kaum mit Ihnen sprechen, wie ich auch Roquets Verteidigung nicht übernehmen würde. Aber in den letzten beiden Tagen ist mein Mandant derart oft von Psychiatern und Psychoanalytikern untersucht worden, daß er wahrscheinlich froh ist, wenn er nichts mehr davon hört und sieht. Und Parapsychologie…«
Zamorra winkte ab. »Die Vorurteile kenne ich. Sie brauchen Sie mir nicht einzeln aufzuzählen, Mondee«, sagte er. »Kann ich nun mit Roquet sprechen oder nicht?«
»Was versprechen Sie sich überhaupt davon? Glauben Sie im Ernst, nur durch ein Gespräch herauszufinden, ob mein Mandant hypnotisiert wurde oder nicht? Selbst die Experten, die Roquet untersucht haben, sind noch zu keinem Ergebnis gekommen, dabei haben sie ellenlange Testreihen und Encephalogramme aufgenommen, für die Sie sich aber anscheinend nicht im geringsten interessieren…«
»Sie sollten doch Erkundigungen einziehen, Mondee«, empfahl Zamorra. »Wahrscheinlich lohnt es sich erst dann, daß wir uns weiter über den Fall Roquet unterhalten, wenn Sie erfahren haben, mit welchen Behörden und Polizeidienststellen ich bereits zusammengearbeitet habe und welchen Ruf ich dort genieße.«
Er entnahm seiner Brieftasche einen zusammengefalteten Papierbogen und überreichte
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