0424 - Das lebende Bild
Zelle gedrückt hatten.
Sie boten ein Bild des Jammers.
Aus der tintigen Finsternis wurden ihre bleichen, ausgemergelten Gesichter hervorgerissen. Sie trugen allesamt schwarze Kleidung, die ihre Haut noch blasser aussehen ließ.
Es waren zwei Männer und zwei Frauen. Die weiblichen Personen hockten am Boden. Sie hatten sich zusammengeduckt. Eine umklammerte einen Krug mit Wasser.
Ein widerlicher Gestank wehte uns entgegen. Ich dachte daran, daß diese Menschen Fürchterliches mitgemacht hatten und auf ihre Befreiung warteten.
Neben mir stand der junge Georg. Er atmete laut. »Das… das habe ich nicht vermutet.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Wollt Ihr nicht die Tür öffnen und sie herausholen?« fragte er mich.
»Gleich.«
Ich war etwas mißtrauisch geworden. Den Grund konnte ich selbst nicht genau sagen. Möglicherweise trugen die Gefangenen selbst daran die Schuld. Sie benahmen sich nicht so, wie ich es von ihnen erwartete. Niemand zeigte Freude, nicht einmal ein richtiges Erstaunen. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern erinnerte mich eher an eine lauernde Apathie.
Sehr ungewöhnlich zumindest…
»Sie sind sehr schwach!« sagte Georg. »Das sieht man.«
Ich gab ihm recht. Vielleicht bildete ich mir auch nur etwas ein, wenn ich diesen trüben Gedanken nachhing. Aber mein Mißtrauen war nicht völlig verschwunden.
Andererseits – was hatte ich erwartet?
Einer der Männer setzte sich in Bewegung. Zuerst ging ein Ruck durch seine Gestalt, dann schlurfte er geduckt auf uns zu. Sein Gesicht wirkte eingefallen, das Fleisch an den Wangen war nach innen gezogen, er hatte sich in seinen schwarzen Umgang gehüllt und seine Hände so in den Stoff verkrallt, daß sie nicht zu sehen waren.
Was wollte der Mann?
Ich beobachtete sehr genau sein Gesicht. Jetzt, wo er näher gekommen war, sah ich die tiefen Falten, die das rötliche Licht der Flammen ausfüllte.
Seine Lippen waren zwar vorhanden, nur hoben sie sich kaum von der Farbe seines Gesichts ab.
Etwa einen halben Schritt vor dem Zellengitter blieb er stehen.
Erst schaute er mich an, dann meinen Begleiter. Seine kaum erkennbaren Lippen bewegten sich, er stellte eine erste Frage. »Wer seid ihr? Weshalb seid ihr gekommen?«
Mir gefiel dieser Mensch immer weniger. Von mir erhielt er auch keine Antwort, mein Nebenmann sprach. »Wir wollen Euch aus dem Verlies holen, Euch befreien.«
Er lachte nur meckernd. »Das brauchen wir nicht.«
»Doch, ihr müßt!« Georg sprach drängend. »In den folgenden Stunden kommt euer Henker. Er wird Euch töten wollen…«
Der Mann schüttelte den Kopf. Ich blickte an ihm vorbei. Auch die anderen drei standen oder hockten nicht mehr so steif auf dem kalten Boden. Sie waren aufgestanden und schauten zu uns herüber.
Irgend etwas stimmte hier nicht.
»Geht wieder!« hörte ich die dumpf gesprochenen Worte. »Uns braucht niemand zu befreien. Wir sind frei.«
Georg wehrte sich dagegen. »Nein, ihr seid hier gefangen. Ein Gitter versperrt den Weg…«
Der Mann verzog den unteren Teil seines Gesichts zu einem häßlichen Grinsen, bevor er sich wieder umdrehte und uns den Rücken zuwandte. Georg von Spränge verstand die Welt nicht mehr. »Was soll das bedeuten?« fragte er mich. »Versteht Ihr das?«
»Noch nicht.«
»Was meint Ihr damit?«
Ich gab ihm nicht die Antwort, die er erwartet hatte, sondern tat etwas Bestimmtes. Aus meiner Tasche holte ich das Kreuz hervor, und als ich das Metall anfaßte, da spürte ich, wie es sich erwärmte.
Hier lauerte das Böse.
Der Mann hatte sich mittlerweile zu den anderen gesellt. Sie drehten uns den Rücken zu und standen so dicht nebeneinander, daß sie eine Wand aus Leibern bildeten.
»Die haben etwas vor!« hauchte Georg.
Der Ansicht war ich auch, schwieg jedoch und wartete ab. Georg und ich hielten den Atem an. Irgend etwas lag in der Luft. Das roch nach einer bösen Überraschung.
Mir kam die gesamte Befreiungs-Aktion auf einmal widersinnig vor. Ich hatte etwas falsch gemacht, aber was?
Da drehten sie sich um.
Sie taten es blitzschnell und rissen mit der gleichen schnellen Bewegung ihre lumpige Kleidung vorn auf der Brust auseinander.
Sie trugen schwarze Hemden, und auf jedem leuchtete ein blutrotes B!
B – für Baphomet!
In diesem Augenblick wurde mir klar, daß sie nicht auf unsere Hilfe angewiesen waren.
Sie hatten einen besseren Beschützer – den Abkömmling des Teufels…
ENDE des ersten Teils
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