0424 - Das lebende Bild
Bald würde er nichts mehr spüren.
Hin und wieder hörte er sich stöhnen.
Er sah seine Umgebung nur noch verschwommen. Der Schmerz in seiner rechten Brust wurde unerträglich, und irgendwann war der Zeitpunkt da, wo er nicht mehr konnte.
Wie eine Wand fiel die Bewußtlosigkeit auf den Kommissar zu, der es nicht mehr schaffte, sich dagegen anzustemmen.
War das Mallmanns Ende?
***
Der Himmel muß aus Licht bestehen, dachte Will Mallmann plötzlich, als er mühsam die Augen aufschlug und in die Lampe über sich schaute.
»Er kommt zu sich«, sagte jemand.
»Ein Glück.«
»Ja, es war knapp.«
»Außerdem ist er nicht mehr der Jüngste«, erwiderte der andere, dessen Stimme Mallmann kannte.
Bevor ihm die Augen wieder zufielen, öffnete er sie noch einmal.
Zwei Schatten verdunkelten jetzt das Licht. Einer drehte sich zur Seite, der andere blieb.
Aus dem Schatten wurde ein Gesicht.
»Hallo, Mallmann, willkommen bei den Lebenden!«
»Sie hier?« flüsterte Will schwach.
»Was sollte ich denn machen als Ihr Vorgesetzter? Ich habe Sie schließlich in diese Scheiße hineingeritten. Daß sich so etwas daraus entwickeln würde, konnte wohl niemand ahnen.«
»Nein, das nicht.«
»Die Weißkittel haben Ihnen die Kugel aus dem Körper geholt, Will. War eine Heidenarbeit, kann ich Ihnen sagen. Wir haben Sie verdammt spät entdeckt, doch dann ging es rund.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Mallmann versuchte, den Kopf zu drehen. Er schaffte es nicht.
»Sie müssen ruhig liegen«, erklärte der Kriminalrat. »Es wird einige Wochen dauern, bevor Sie wieder an Ihrem Schreibtisch sitzen können.«
»Wo haben Sie mich hingebracht?«
»Nicht in die Schwarzwaldklinik. Sie befinden sich in einem Nürnberger Krankenhaus. Wenn Sie wieder auf den Beinen sind, reden und sehen wir weiter.«
»Nein, das nicht.«
»Wieso?«
»Ich… ich muß Ihnen noch etwas sagen, Chef.«
Der Kriminalrat lachte. »Aber nicht jetzt, Will.«
»Doch, Herr Weber, doch.« Der Kommissar fühlte sich verdammt schwach, aber er dachte auch daran, daß ihm etwas widerfahren war, das er nicht für sich behalten konnte. Dazu war er einfach zu sehr Polizist.
»Dann machen Sie es kurz, Will.«
»Ich weiß, wer die Mörder des Kollegen sind.«
Eine Pause entstand, bevor Weber fragte: »Die beiden, die auch Sie niedergeschossen haben?«
Mallmann protestierte. »Nein, Herr Weber, nein. Die Mörder des Kollegen sind aus dem Bild gekommen, das im Wohnzimmer steht. Sie haben sich daraus gelöst, begreifen Sie das?«
»Wie?«
Dem Kommissar fiel es schwer zu sprechen. Das merkte auch Weber. Er wollte Will daran hindern, eine nächste Aussage zu treffen, doch Mallmann war zäh.
»Lassen Sie mich noch etwas sagen. Es waren die Bestien. Sie müssen aus dem Bild gekommen sein. Ich habe Blut entdeckt, und die anderen beiden haben das Bild abgeholt. Ich habe auch gesehen, daß sie Pullover trugen, auf denen ein großes B stand. Merken Sie sich das. Ein großes B.«
»Ist gut.«
Aber Will war noch nicht am Ende. Er mußte noch etwas loswerden. »Tun Sie mir einen letzten Gefallen, Herr Weber. Wir schaffen es nicht allein, den Fall zu lösen. Dazu sind wir zu schwach. Rufen Sie in London an. Sie wissen ja. John Sinclair. Er soll kommen, er muß kommen. Das ist gefährlich. Nur er kann es schaffen…«
Kriminalrat Weber schaute zu, wie Will wieder zurücksackte und die Gesichtszüge des Kommissars erstarrten, als würde er tief schlafen.
Dabei war er bewußtlos geworden.
Weber klingelte nach dem Arzt. Der kam sofort, schaute auf den Patienten und auf die Instrumente neben dem Bett, an die der Kommissar angeschlossen war. Sie überwachten die Funktionen der lebenswichtigen Organe.
»Haben Sie ihn aufgeregt?« fragte der Doktor.
»Er selbst wohl.«
Der Arzt zog ein bedenkliches Gesicht. »Tun Sie sich und dem Kommissar einen Gefallen, lassen Sie ihn in Ruhe. Er muß sich jetzt erholen. In den nächsten Tagen wünsche ich keinen dienstlichen Besuch mehr von Ihnen, Herr Kriminalrat. Ansonsten lehne ich jegliche Verantwortung für den Patienten ab.«
»Ich habe verstanden, Doktor.«
Mit einem letzten Blick auf das bleiche eingefallene Gesicht des Kommissars verließ Weber das Krankenzimmer. Im Flur verabschiedete er sich von dem Arzt. In Gedanken versunken, verließ er das Krankenhaus. Im Park atmete er die kalte Luft ein.
Nach dem Schnee war der Himmel wieder blau geworden. Auf Webers Dienstwagen lag eine Eisschicht. Der Kriminalrat setzte sich hinter
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