0426 - Palast der Schattenwürger
dort jahrelang auf ihren Tod.«
»Und wo finden wir das Grab?«
»Nicht weit vom Djemaa el-Fna entfernt. Das ist der berühmte Platz der Märchenerzähler, Schlangenbeschwörer und Akrobaten. Sie müßten von ihm gehört haben.«
»Ja, das haben wir auch.«
»Dann schauen Sie sich dort um.«
»Auch in der Nacht?« fragte Culver.
»Es werden Fackeln angezündet. Auf dem Platz herrscht immer Betrieb, aber in der Nacht ist er gefährlich. Man wird Sie als Touristen ansehen.«
Culver winkte ab. »Wir werden uns schon zu wehren wissen. Aber Ihr Vater hat sich so aufgeregt. Was ist mit ihm los?«
»Er hat Angst.«
»Vor den Schatten?«
»Ja, denn er glaubt fest daran, daß sie ihn töten werden, wenn sie von ihm erfahren, daß er geredet hat.«
»Das kann ich mir gut vorstellen, daß jemand so denkt. Jedenfalls danken wir Ihnen, Touat. Jetzt gehen Sie mal lieber ins Ruderhaus. Ihr Vater wartet schon und schaut hin und wieder böse zu uns rüber.«
»Gut.«
Wir warteten, bis der junge Mann verschwunden war und von seinem alten Herrn ausgeschimpft wurde. »Was halten Sie davon, John?«
»Kann hinkommen.«
»Ein Gruselmärchen.«
Ich schielte ihn von der Seite her an. »Manche Gruselmärchen sind schon zu einer verdammt blutigen Wahrheit geworden, Max, das kann ich Ihnen versichern.«
»Ich lasse mich trotzdem überraschen.«
»Tun Sie das.«
Bei Tageslicht hätten wir die Küste bestimmt deutlicher gesehen. So aber stach sie nur als unregelmäßiger Schattenlauf vom hellen Schaum der Brandungswellen ab.
Man brauchte einen einheimischen Lotsen, um hier anlegen zu können.
Wären wir allein gefahren, hätten uns die Klippen bestimmt das Boot aufgefetzt. Nahe der Brandung gerieten wir in die höheren, zurücklaufenden Wellen. Sie liefen quer, hämmerten gegen den Kahn und schüttelten ihn durch. Gischt sprühte über Bord und gegen uns.
Wellenberge wechselten sich mit Tälern ab. Manchmal tauchte der Bug des Schiffes tief ein, kam jedoch immer wieder hoch, und Vater und Sohn gehörten tatsächlich zu den Kennern der Gegend, sie lenkten das Boot sicher in die schmalen Fahrrinnen hinein und in das folgende ruhigere Gewässer.
Wie helles Silber leuchtete ein schmaler Sandstreifen zum Greifen nahe vor uns. Das Gewässer wurde flacher. Tiefer konnte das Boot nicht mehr hinein.
Man warf einen Anker.
Touat kam zu uns. »Ich bringe euch noch an Land und zeige euch den Wagen. Ihr müßt ihn später, wenn es möglich ist, wieder an diesen Ort zurückbringen.«
»Okay.«
Der Alte wollte von uns nichts mehr wissen, als wir von Bord kletterten.
Demonstrativ drehte er uns den Rücken zu. Über glatte Felsen sprangen wir, gerieten schließlich in knietiefes Wasser und wateten den letzten Rest bis zum Strand.
Unsere Füße schleiften durch den weichen Sand. Wir gingen zu einer Düne, aus der wie eine gekrümmte Nase ein Felsen hervorlugte.
Unter dem Felsen stand der Wagen. Es war ein japanisches Geländefahrzeug, ziemlich robust gebaut und mit einem Schutzgitter vor der Kühlerschnauze ausgerüstet.
Der Schlüssel lag unter einer Fußmatte. Touat holte ihn hervor und drückte ihn Culver in die Hand. Dann verabschiedete er sich. Er lief so schnell weg, als wollte er vor uns flüchten.
»Dem ist es wohl auch nicht geheuer«, sagte Max und warf den Schlüssel lässig hoch, um ihn aufzufangen.
»Bei den Schattenwürgern kein Wunder.«
»Ich glaube erst daran, wenn ich sie sehe.«
»Falls es dann nicht zu spät ist.«
Bevor er einstieg, hatte er noch eine Frage. »Sagen Sie mal, John, was verstecken Sie eigentlich unter Ihrer Jacke. Ist das ein Silberbarren?«
»Nein, ein Bumerang.« Ich holte ihn hervor und zeigte ihn.
Culver schüttelte den Kopf. »Sind wir hier in Australien?«
»Das nicht, aber manchmal leistet ein Bumerang auch außerhalb Australiens wertvolle Dienste.«
»Sie müssen es wissen.«
Wir stiegen ein. Culver startete und nickte zufrieden, als der Motor sofort ansprang. Aufgetankt war er auch, jetzt brauchten wir nur noch den Weg nach Marrakesch zu finden.
Und das war nicht einfach.
Wir fuhren zunächst quer durch das Gelände, bis wir in der Ferne Lichter sahen. Sich bewegende Lichtkegel. Dort mußte eine Straße herführen.
Wir fanden sie und fuhren auf ihr in westlicher Richtung weiter. Sie war nicht asphaltiert, war aber auch keine mit Schlaglöchern übersäte Wüstenpiste. Und Culver fuhr wie ein Henker.
Ich bekam Herzklopfen. Als ich ihn fragte, ob er mal Rennen gefahren hätte,
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