0427 - Die Knochen-Küste
klingenden Stimme.
»Das ist schon eine böse Geschichte.«
Ursula schüttelte den Kopf. »Ich bewundere dich, daß du dabei so ruhig bleiben kannst.«
»Was soll ich machen? Durchdrehen?«
»Nein, das nicht, aber…« Sie hob die Schultern. »Ich habe so etwas wie Panik gespürt.«
»Das ist ganz natürlich.« Er atmete tief durch. »Ich habe Matthias versprochen, zum Strand zu gehen. Dieses Versprechen halte ich auch.«
»Dann sei nur vorsichtig.«
»Darauf, meine Liebe, kannst du dich verlassen. Mit Hexen hatte ich noch nie etwas im Sinn. Eine reicht mir.«
»Wie meinst du das?«
»Schau mal, in den Spiegel.« Nach dieser Antwort lief er schnell aus dem Haus, denn er wußte genau, daß Ursula zu einer Furie werden konnte, wenn man sie ärgerte…
***
Ich saß im Sand und war gezwungen, mich innerhalb einer Sekunde zu entscheiden. Mit dem rechten Bein kam ich nicht weg, aber ich konnte meinen Oberkörper bewegen, und den wuchtete ich im rechten Moment zur Seite, so daß mich der rot schimmernde Arm verfehlte, dicht an meiner Schulter vorbeiglitt und in den Sand klatschte.
In diesen Augenblicken war nicht nur mein Leben in Gefahr, auch das der ehemaligen Hexe. Was immer unter dem Sand lauern mochte, es war gekommen, um uns zu töten.
Auch im Urlaub trage ich eine Waffe. Ich kann nicht einfach sagen, jetzt habe ich frei und lege die Beretta in irgendeine Schublade. Das Kreuz gehört ebenfalls dazu, der Dolch auch, und als der Arm einen Moment später hochkam, hatte ich bereits auf ihn angelegt.
Er war zu schnell.
Ich hätte vielleicht dreimal schießen müssen, um einmal zu treffen. So ließ ich ihn und kümmerte mich um den ersten, der meinen Knöchel umklammert hielt.
Vom Fuß ausgehend lag er flach auf den Sand gepreßt und war stramm gezogen.
Ich zielte im Sitzen, der Arm war halb ausgestreckt, sah den Schatten des zweiten Fangarms über mein Gesicht huschen und drückte ab. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, daß ich ihn auch traf.
Er wurde regelrecht zerblasen, als das geweihte Silbergeschoß hineinjagte. Vor mir peitschte er noch einmal in die Höhe, wühlte den Sand als Wolke auf, ich drehte mich, um nach dem zweiten Arm Ausschau zu halten, doch dieser war verschwunden.
Er floh unter dem Sand.
Ich konnte seinen Weg beobachten. Wo er herwischte, bewegte sich auch die Oberfläche. Das Ziel war leider nicht herauszufinden. Jedenfalls ging ich davon aus, die Gefahr gebannt zu haben.
Ich stand auf und kümmerte mich um Jane. Sie hatte von der Auseinandersetzung nichts mitbekommen. Ruhig lag sie neben mir auf dem weichen Untergrund.
Als ich sie anfaßte und in die Höhe hieven wollte, schlug sie die Augen auf. »John«, sagte sie flüsternd, »was ist denn geschehen?«
»Gar nichts mehr, Jane. Wir haben alles geschafft.«
»Da war doch…«
Ich hob sie an. Diesmal blieb sie auf den Beinen, auch wenn sie von mir gestützt werden mußte.
Verwirrt schaute sich die blonde Frau um. Sie wollte etwas sagen, das merkte ich, aber es fielen ihr die treffenden Worte nicht ein.
Gemeinsam gingen wir weiter. Jane hatte ihren Arm auf meine Schulter gelegt. Ich stützte sie stark ab und war gleichzeitig sehr mißtrauisch geworden.
Einen zweiten Angriff wollte ich rechtzeitig genug erkennen. Was dieser aus der Erde kriechende Gegenstand gewesen war, wußte ich auch nicht. War es ein rotgefärbter Fangarm, oder der Tentakel eines Kraken gewesen, der unter dem Sand lauerte? Wenn ja, in welch einer Verbindung stand er dann zu den angeschwemmten Knochen?
Irgend etwas stimmte mit dieser Gegend nicht. Ob es mit Janes Auftauchen zusammenhing, würde ich noch herausbekommen.
Als ich nach vorn schaute, sah ich plötzlich die Gestalt. Wenn sie aus dem Ort gekommen war, mußte sie eine Abkürzung genommen haben, denn sie tauchte aus einem schmalen Nebenweg auf, der in die Dünen führte.
Es war ein Mann. Er trug eine grüne Parkajacke, hatte uns ebenfalls entdeckt und verlangsamte seinen Schritt. Nur zögernd näherte er sich uns.
Auch Jane hatte ihn gesehen. »Da kommt jemand!« flüsterte sie.
»Ja, kennst du ihn?«
»Nein, den habe ich nie gesehen.«
Da der Mann noch zögerte, hob ich einen Arm und winkte ihm zu. Er sollte wissen, daß ich keine böse Absichten hegte. Er nickte mir zu, wir gingen aufeinander zu und blieben in einer Entfernung stehen, daß wir uns die Hand reichen konnten.
Der Mann wohnte wahrscheinlich hier. Er besaß eine frische Gesichtsfarbe, aber in seinen Augen lag ein mißtrauischer
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