0429 - In der Monsterhöhle
schließlich ein paar kleinere Einkäufe in ebenso kleinen Boutiquen. Längst schon war ihr Modetick nicht mehr so ausgeprägt wie vor Jahren, aber hin und wieder mußte es mal sein, und die Streitgespräche zwischen Zamorra und ihr waren eigentlich vorwiegend Nostalgie.
Mit zwei kleinen Päckchen machte sie sich auf den Rückweg zu der Stelle, wo sie Teds Mercedes geparkt hatte.
Plötzlich verlangsamte sie ihre Schritte.
Sie nahm Gedankenfetzen wahr, die sich ihr förmlich aufdrängten. Gedanken voller Angst, Verzweiflung und einem Hauch von Hoffnung…
Nicole trat zur Seite. Ein Mädchen zielte an ihr vorbei, vielleicht gerade achtzehn Jahre oder etwas mehr alt, modisch und sommerlich leicht gekleidet und auf dem Weg zur Stazione Termini, dem Hauptbahnhof Roms. Von diesem Mädchen gingen die intensiven Ströme aus, die Nicole wahrnahm.
Seit die brasilianische Waldhexe Silvana sie vom vampirischen Keim befreit hatte, den ihr ein dämonisches Wesen auf dem Silbermond angehext hatte, besaß sie eine schwache telepathische Begabung. Etwas leichter als Zamorra, der von bestimmten Grundstimmungen abhängig war, konnte sie die Gedanken anderer Menschen lesen - sofern sie sich darauf bewußt konzentrierte und diese Menschen sich in ihrer Sichtweite befanden. Normalerweise pflegte sie von dieser neu erworbenen Fähigkeit keinen Gebrauch zu machen, es sei denn, es ging ums Überleben. Denn was interessierten sie die Gedanken und Wünsche anderer Menschen? Warum sollte sie in deren Intimsphäre schnüffeln, wenn es nicht wirklich nötig war? So neugierig war sie wirklich nicht…
Aber in diesem Fall drängten sich ihr die Gedanken dieses römischen Mädchens förmlich auf. Sie waren so intensiv, daß Nicole sie fast mit ihren Ohren hören konnte. Und sie waren verwirrt, aufgewühlt. Eine Höhle, drei Menschen, die verschwunden waren, die Polizei, die der Geschichte nicht glaubte und keine Höhle fand… ein Zaubertor ins zeitlose Reich der Zwerge und Berggeister, für die tausend Jahre nur ein Tag sind…
Nicoles Aufmerksamkeit war erwacht. Diese junge Römerin mußte etwas erlebt haben, das das normalmenschliche Vorstellungsvermögen sprengte. Unwillkürlich folgte Nicole der Dunkelhaarigen und holte rasch auf. Schließlich befand sie sich neben ihr.
»Vielleicht kann ich Ihnen helfen, Signorina«, bot sie an. »Ich kenne mich ein wenig mit diesen Dingen aus…«
***
»Wo, bei Merlins hohlem Backenzahn, bleibt der alte Knabe so lange?« wunderte Zamorra sich halblaut, nachdem mittlerweile schon über zehn Minuten vergangen waren und Ted noch nicht wieder aus dem Keller aufgetaucht war. »Das kann doch nicht so lange dauern, eine Flasche Coke oder Saft nach oben zu holen!«
Sollte Ted auf der Treppe gestürzt sein und sich verletzt haben?
Unmöglich war nichts. Wer Pech hatte, brach sich beim Nasenbohren den Finger ab. Also folgte Zamorra dem Reporter.
»Ted?« rief er. »Wo steckst du? Ist dir etwas passiert?«
Er erhielt keine Antwort. Am Fuß der Kellertreppe lag niemand, auch im Gang nicht. Zamorra fand den Weinkeller wieder. Die Schiebetür war geschlossen. Er schob sie nach links, entsann sich der Lage des Lichtschalters und ließ die Deckenlampe aufflammen.
Von Ted Ewigk war nichts zu sehen. Der Kellerraum war menschenleer, von Zamorra mal abgesehen.
»Was ist ihm denn jetzt eingefallen?« murmelte der Parpasychologe. Wenn Ted nicht hier war, trieb er sich möglicherweise in einem der anderen Kellerräume herum - oder er war nach oben gegangen und befand sich irgendwo im Haus. Aber warum hatte er dann nichts gesagt?
Zamorra suchte. Aber im Keller war der Reporter nicht. Systematisch kontrollierte der Parapsychologe jetzt jede Etage und jedes Zimmer.
Ted Ewigk war verschwunden.
Nur sein Dhyarra-Kristall war noch da. Nach wie vor lag er in Teds Arbeitszimmer auf dem Tisch, und er funkelte, als läge er in hellem Sonnenlicht.
Nachdenklich betrachtete Zamorra den Sternenstein. Er begriff nicht, wohin Ted gegangen sein mochte.
***
»Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?« stieß Carla Tizione entgeistert hervor. Sie sah die fremde Frau an, die sie so unvermittelt angesprochen hatte. Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Ich kenne mich ein wenig mit diesen Dingen aus…
Mit diesen Dingen ? Was bedeutete das? Was wußte die Fremde?
»Mein Name ist Nicole Duval«, stellte die Fremde sich vor, in deren braunen Augen kleine goldene Pünktchen glänzten. »Und ich kann Ihnen vielleicht helfen. Sie haben etwas
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