043 - Das Beinhaus der Medusa
seine Erregung verbergen.
»Was für eine Untersuchung, Thor? Und was wollen Sie mit dieser Kiste? «
Der Angesprochene grinste. »Die haben wir gestohlen!
Allerdings mit Wissen der Polizei. Im Kommissariat in Kjerringöy habe ich
gute Freunde sitzen. Ich habe gesagt, daß ich etwas Bestimmtes bekäme. Ob ich
es mir gewissermaßen – bis zum Tagesanbruch – ausleihen könnte. Da hatte
Berndson nichts dagegen.«
Haydaal wandte sich um, griff nach einer Brechstange und hob den
Bretterdeckel ab. Dumpf schlug er auf den Boden.
Larry starrte in die Kiste.
Es lag eine mannsgroße, bräunlich-graue Gestalt darin.
Eine steinerne Statue!
»Das ist Marne«, sagte Haydaal beinahe ehrfürchtig.
●
Larry Brent erfuhr mit wenigen Worten alles über den geheimnisvollen
Liga-Leiter, der auf rätselhafte Weise verschwand.
»Ich habe über die Vorkommnisse – seit zwei Tagen – so meine eigenen
Vermutungen«, sagte Thor Haydaal leise. »Alle Welt sprach vom geheimnisvollen
Verschwinden Marnes. Die Polizei suchte vergebens nach seiner Spur. Marne blieb
verschwunden. Nun, so weit war das auch nur natürlich. Wenn man von einer
gesuchten Person keine Spur mehr findet, ist anzunehmen, daß sie spurlos
verschwunden ist. Wenige Wochen nach Marnes rätselhaftem Verschwinden tauchte
diese Figur hier auf. Eine junge, zurückgezogen lebende Künstlerin hatte sie
zum Andenken an Marne gestaltet. Die Mitglieder der von Marne gegründeten Liga
erstanden die Statue. Auch das hört sich alles noch recht normal an. Ich muß so
ausführlich werden, damit Sie auch verstehen, was nun kommt. – Ich habe einen Freund,
einen jungen Schriftsteller, Gunnar Mjörk. Er ist – nein, er war …«,
berichtigte er sich plötzlich, und ein nervöses Zucken lief über sein Gesicht.
»Gunnar ist tot! Ich habe es heute morgen vom Kommissar Berndson erfahren.
Selbstmord! Ich konnte das nicht verstehen. Nun, ich hatte mich
unterbrochen: Mjörk war eine so merkwürdige Nudel wie ich. Er suchte das
Besondere und gab sich nie mit dem zufrieden, was ihm aus der Feder floß. Er
schrieb fantastische Geschichten. Und was für welche! Ich habe mal eine Nacht
in seinem Haus in Narvik verbracht. Ich werde diese Nacht in meinem Leben nicht
vergessen. Das reinste Gruselkabinett!
Mjörk hat sich mit dem unsinnigsten Zeug umgeben. – Aber ich schweife zu
weit ab, merke ich gerade. – Mjörk glaubte, daß die Statue etwas mit dem Tod
Marnes zu tun hat.«
Larry Brent kniff die Augen zusammen. Seine Stirn war in ernste Falten
gelegt. »Das begreife ich nicht.«
»Auch ich verstehe es nicht – noch nicht! Und deshalb habe ich Leif Rudnik
mitgebracht. Er soll sich mit der Gestalt beschäftigen. Er hat die ganze Nacht
Zeit. Bis zum Tagesanbruch müssen wir sie wieder in Kjerringöy abgeliefert
haben. Die Figur steht im Hof des Hauses, in dem Marnes Mitglieder
zusammenkommen. – Was ich noch über meinen Freund Mjörk sagen wollte: er
behauptete, die letzte Geschichte, an der er gerade schreibe, sei ein
Tatsachenbericht.
Er wollte mir diese Geschichte bei unserem nächsten Treffen vorlesen. Sie
wäre noch nicht beendet. Er benötige erst noch einen Beweis. Mit diesen Worten
ließ er einen Brief zurück.
Verschlossen! Mjörk bat mich, diesen Brief erst zu öffnen, wenn er sich
mindestens zwei Tage lang bei mir nicht mehr melden sollte oder wenn mir zu
Ohren käme, daß man ihn vermisse.
Heute mittag nun habe ich von seinem – Selbstmord – gehört.
Daraufhin habe ich den Brief geöffnet. Er liest sich wie ein Roman.« Mit
diesen Worten nahm er einen zerknitterten Umschlag aus seiner Brieftasche und
reichte ihn dem PSA-Agenten.
Dann starrte Thor Haydaal mit fiebernden Augen auf die steinerne Statue in
der Holzkiste. »Wenn Mjörk recht hat, dann wird die Welt Kopf stehen, dann wird
sie von einer Sensation erfahren, die einmalig für dieses Jahrhundert sein
dürfte. –
Mjörk nämlich ist der Ansicht, daß Marne niemals in Stein gemeißelt wurde,
sondern daß seine Statue er selbst ist. Mit anderen Worten: der tote Marne
liegt in diesem Augenblick vor uns …!«
●
Larry las den Brief, den Gunnar Mjörk an Thor Haydaal geschrieben hatte.
»Lieber Thor,
wenn Du diesen Brief öffnest, bin ich
entweder spurlos verschwunden, oder nicht mehr am Leben. Das hört sich
rätselhaft an. Ich weiß. In diesem Augenblick jedoch, wo ich diese Zeilen an
Dich schreibe, kann ich es selbst noch nicht verstehen. Erst die nahe Zukunft
wird beweisen, ob
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