043 - Das Beinhaus der Medusa
mein Verdacht berechtigt ist. Du mußt begreifen, daß ich an
dieser Stelle unmöglich über all die Nachforschungen berichten kann, die ich
anstellte, daß ich alle Quellen nennen kann, die ich nachschlug. In alten
Werken habe ich Stellen gefunden, die eindeutig darauf hinweisen, daß ich kein
Hirngespinst jage. – Sollte ich nicht mehr zurückkommen, dann bitte ich Dich um
eins: laß die Gestalt des ›Marne‹ von einem Geologen untersuchen! Inger
Bornholm, die junge Künstlerin, behauptet, diese Gestalt aus Stein
herausgearbeitet zu haben. Ich bezweifle das allen Ernstes! Sie ist dazu nicht
in der Lage. – Ich kann und darf nicht ausführlicher werden, weil die Dinge so
kompliziert sind und so ungewöhnlich, daß man mich als Irren hinstellen würde,
schriebe ich mehr davon. Ich brauche einen handfesten Beweis. Nicht einmal ein
Bild, das ich von einer versteckten automatischen Kamera aufnehmen ließ, ist
Beweis genug. Es zeigt zu wenig. Ich muß mich selbst davon überzeugen, mit
eigenen Augen – und das ist vielleicht gerade das, was mich mein Leben kosten
wird. – Vielleicht spinne ich wirklich, vielleicht habe ich mich in meinem
Leben auch zu sehr mit außergewöhnlichen Dingen beschäftigt, mit metaphysischen
Problemen und angeblichen wahren Berichten, die in Büchern der schwarzen Magie
und okkulten Praktiken ihren Niederschlag fanden. Das kann meinen Sinn für die
Wirklichkeit, für die Realität, getrübt haben. Um eins jedoch möchte ich Dich
bitten: wenn ich bis zum 6. Oktober mich nicht mehr bei Dir gemeldet habe,
folge meiner Spur! In meiner Bibliothek wirst Du in der ›Schwarzen Ecke‹ in
mehreren gekennzeichneten Büchern angestrichene Stellen finden, die Dir als
Leitfaden dienen. In der Hoffnung, daß alles nur ein Traum ist, verbleibe ich
Dein
Gunnar …«
Larry faltete den Brief zusammen. »Er schreibt viel und kommt doch nicht
zum Kern der Sache«, murmelte der PSA-Agent.
Thor Haydaal nickte. »Er war schon immer ein Geheimniskrämer. Wer ihn
kannte, mußte zugeben, aus ihm nicht klug zu werden. Mjörk war ein sympathischer,
aber ein schwieriger Mensch. Er lebte in anderen Regionen. Einige seiner
Freunde waren sogar der Ansicht, daß er haschte.
Gunnar Mjörk soll mehr berauscht als nüchtern gewesen sein.
Wenn man seine Geschichten liest, dann gewinnt man diesen Eindruck
ebenfalls. Nebenher zeichnete und malte er auch noch. Ich habe einige seiner
Werke in seiner Wohnung hängen gesehen. Nie zuvor in meinem Leben habe ich
scheußlichere Bilder gesehen.«
»In seinem Brief erwähnte er ein Foto. Was hat es damit auf sich?«
Haydaal griff in seine Brieftasche und reichte dem amerikanischen
Spezialagenten eine Farbfotografie.
»Es ist nicht allzu viel darauf zu erkennen. Die Aufnahme ist unscharf«,
erklärte der Reporter. »Dennoch beeindruckend.«
Die Fotografie stellte eine Vergrößerung dar. Es war nur die Hälfte eines
verschwommenen, rötlich-gelben Frauengesichtes zu erkennen, das mit den
Unterlippen begann. Eine edel geformte Nase, große dunkle Augen. Kirschaugen …
Und dann der Kopf selbst. Im ersten Augenblick schien es Larry unmöglich, daß
jemand so dichtes, schweres Haar haben könnte. Lag es an der verwackelten,
ungeschickten Aufnahme, daß die Frisur so gewaltig und die Haare so dick
wirkten. An den schlechten Belichtungsverhältnissen mußte es auch liegen, daß
es im Haar seltsame Farbverschiebungen und -schattierungen gab. Ein dunkles Rot
und helle sowie dunkle Grüntöne waren in diesen verwirrenden Haarschopf
eingewoben. Das offenbar durch Unschärfe entstandene Haar sah aus wie ein
Gewimmel von fingerdicken Reptilien, die ineinander verschlungen waren und mehr
oder weniger weit vom Schädel abstanden.
»Ein Medusenhaupt«, sagte Larry mit schwacher Stimme. Er merkte, wie es ihn
beim Anblick der Fotografie fror.
Haydaal nickte. »Das ist zweifelsohne daraus zu erkennen.
Schade, daß es nicht schärfer ist.«
»Es muß sich um eines der Bilder Mjörks handeln. Ein makabres Bild. Er hat
es sicher fotografiert.« Absichtlich sprach Larry diese Dinge halblaut vor sich
hin. Wenn er den verworrenen Text des Briefes bedachte, dann wußte er, daß
seine Bemerkung nicht richtig sein konnte.
In seinem Brief hatte Mjörk ausdrücklich von einer automatischen, versteckt
angebrachten Kamera gesprochen. Er mußte einen hochempfindlichen Film benutzt
haben, um ohne Blitzlicht auszukommen. Denn ein Blitz hätte den Standort der
Kamera verraten.
Larry schluckte. Er
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