0431 - Kathedrale der Angst
jemand versteckt.
Ich ging leise vor. Durch Fensterritzen drang helles Tageslicht in schmalen Streifen.
Wo steckte die Person?
Noch war sie nicht zu hören. Zudem teilte sich das Innere des Baus in zwei Hälften, die durch eine Holzwand, über die ich aber hinwegschauen konnte, getrennt waren. Dahinter war der Raum in kleine Nischen aufgeteilt. Wahrscheinlich hatte man dort mal Schweine gehalten.
Licht fiel dort keines hin. Ich mußte schon mit der Resthelligkeit vorlieb nehmen. Die Stimme blieb. Und sie hatte einen rauhen Klang angenommen. Ich sah einen klumpigen Schatten in der Ecke hocken. Um besser sehen zu können, schaltete ich die Lampe ein.
Es war die Frau aus der Gaststätte.
Sie kniete in einer Ecke, drehte mir die Schultern und den Rücken zu, während sie Worte ausstieß, die sich gleichzeitig wie ein Racheschwur und ein Flehen anhörten.
Ein Wort verstand ich.
Und das elektrisierte mich regelrecht, denn es wurde mehrmals wiederholt.
Baphomet!
Ich holte tief Luft. Damit hatte ich so schnell nicht gerechnet, aber ich war auf der richtigen Spur. Diese Frau hatte sie mir gewiesen.
Es schien sie nicht zu stören, daß ich sie auch weiterhin anleuchtete, denn sie tat nichts, um sich vor dem Licht zu verkriechen.
So sprach sie weiter, und ich fand eine halbhohe Schwingtür, durch die ich die Boxen betreten konnte.
»Bleib da!«
Sie schrie mich an, ohne mir ins Gesicht zu sehen, denn sie hatte mich bemerkt.
Schweres Atmen floß über ihre Lippen.
Ich blieb stehen. »Wer sind Sie?« fragte ich.
»Colette Virni!«
Virni! Dieser Name sagte mir einiges.
Hatte nicht ein gewisser Pierre Virni vor fünfzig Jahren in einem Brief von einer Kathedrale der Angst geschrieben? Er war praktisch meine Spur gewesen.
»Und wer ist Pierre Virni?« fragte ich.
»Mein Vater.«
»Lebt er noch?«
»Ja.«
»Dann gehört ihm das Lokal?«
»Stimmt.«
»Weshalb verkriechen Sie sich vor mir, Madame? Was habe ich Ihnen getan?«
»Hau ab!«
»Ich will eine Antwort.«
Ihr Rücken zuckte, als sie nach einer Antwort suchte. »Du… du bist ein Schwein. Du bist gegen uns. Ich spüre es, du hast etwas bei dir, das ich hasse.«
Da konnte sie das Siegel meinen oder das Kreuz. Da ich schwieg, redete sie weiter und wollte, daß ich verschwinde.
In einer Pause stellte ich meine Frage. »Was ist mit Baphomet? Sie haben seinen Namen gerufen.«
»Ich?«
»Ja, Sie! Hören Sie jetzt auf zu lügen.«
Golette schwieg. Aber sie drehte sofort den Kopf zur Seite, als sie vom Lichtstrahl geblendet wurde. »Dabei hätte ich mich gern mit Ihrem Vater unterhalten. Er dürfte nicht mehr der Jüngste sein. Wo kann ich ihn finden?«
»Er ist weggegangen.«
»Kommt er wieder?«
Colette Virni stand auf und wischte ihre schmutzigen Handflächen an der Strickjacke ab. »Er muß kommen, er ist der Wirt.«
»Und Sie helfen ihm?«
»Wie mein Bruder, der kocht.«
»Aha. Was hält Ihr Vater denn von Baphomet? Kennt er ihn? Weiß er, daß seine erwachsene Tochter diesen Dämon anfleht?«
Sie hob die Schultern und ging vor. Ohne sich um mich zu kümmern, schritt sie an mir vorbei. Ich ließ sie einige Schritte weit gehen, folgte ihr erst dann und faßte sie an die Schulter.
»Was ist mit Baphomet?«
»Nichts, gar nichts…«
»Terribilis est locus iste«, flüsterte ich. »Dieser Ort ist schrecklich. Sie kennen den Spruch. Haben ihn bestimmt schon gelesen. Welcher Ort ist schrecklich? Die Kathedrale?«
»Ja…«
»Und ist dort Baphomet?«
»Auch.«
»Sie wissen Bescheid.«
»Vielleicht.«
»Dann sind Sie öfter dort, Colette -oder?«
»Manchmal.«
Ich war dicht hinter ihr stehengeblieben. Sie roch nach Schweiß und Gewürzen. »Gut, wenn Sie ihn kennen, würde ich ihn gern sehen. Führen Sie mich hin.«
Aus ihrem Mund drang ein leises Lachen. »Ich soll Sie hinführen? Wie käme ich dazu?«
»Weil ich deswegen gekommen bin.«
»Ja, du willst ihn vernichten.«
»Wer sagt das?«
»Ich.« Sie ging wieder vor. »Aber wir lassen uns nicht töten. Wir wissen mehr als andere. Gustave und ich, wir…«
Plötzlich wirbelte sie herum. Bevor ich etwas unternehmen konnte, traf mich der Schlag in den Magen. Sie mußte einen Stein in der rechten Faust gehabt haben, denn der Treffer war verdammt hart. Er trieb mich zurück.
Ich sah in diesen Sekunden schlecht aus. Aber das sieht jeder, der von einem so heimtückischen Angriff überrascht wird. Auch der zweite Hieb erwischte mich. Diesmal am Brustbein. Ich flog bis gegen die Abtrennung
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