0439 - Todesspiel in Samt und Seide
Reggy Custer.
Er lag auf dem Rücken, mit weit aufgerissenen Augen. Eine Hand hatte er in Höhe des Herzens in den Anzug gekrallt. Durch die Finger sickerte Blut.
Er lebte noch.
Der Ausdruck seiner Augen und die Lage der Schußwunde ließen mich vermuten, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb.
Ich kniete neben ihm nieder. Er wandte den Kopf und erkannte mich. Irgend etwas zerrte an meiner Kehle, als ich sah, daß ei matt lächelte.
»Sie haben mich gewarnt, Jerry«, brachte er mühsam und kaum hörbar hervor. »Es ist nicht Ihre Schuld!«
»Sprechen Sie kein Wort zuviel!« sagte ich und beugte mich zu ihm hinab. »Wer war es?«
Ein dumpfes Stöhnen war die einzige Antwort. Er schien starke Schmerzen zu haben. Ich streifte das Jackett ab, rollte es zusammen und schob es unter seinen Kopf. Als ich den Kopf losließ, rollte er zur Seite. Ich sah, daß der Ausdruck der Augen sich verändert hatte. Sie sahen so starr und gläsern aus, als wären sie aus bemaltem Porzellan.
Ich begriff, daß diese Augen nichts mehr sahen. Reggy Custer war tot.
Ich erhob mich langsam und schaute mich um. Die Diele war klein. Außer der Wohnungstür zweigten zwei weitere Türen davon ab. Eine führte zur Küche, die andere ins Bad. Das Bad machte einen schmutzigen, unappetitlichen Eindruck. Ich öffnete die Wohnungstür und lauschte.
Im Haus war alles still. Ich stürmte durch das Wohnzimmer ans offene Fenster. Unten, auf der Straße, entzündete sich ein gelbroter Feuerblitz. Dicht neben mir klatschte etwas in die Wand. Ich zog meinen Kopf zurück, aber es bestand keine Gefahr. Die Entfernung zwischen Straße und Mansarde war zu groß für eine Pistole.
Ich hörte Schritte und das Klappen einer Wagentür. - Fenster wurden geöffnet. Neugierige steckten die Köpfe ins Freie. Ein paar Rufe wurden laut, Fragen nach der Ursache des Knalls.
Dann heulte ein Wagenmotor auf. Ich versuchte das Dunkel der Straßenschlucht mit den Blicken zu durchdringen, sah aber nur das Leuchten der roten Wagenschlußlichter, die mir wie die Augen eines feixenden Teufels vorkamen.
Ich wandte mich um. Das Zimmer war etwa zwanzig Quadratyard groß. Die Bettcouch stand an der Längswand. Auf dem runden Tisch in der Mitte des Zimmers verqualmte im Ascher eine Zigarette. Das Zimmer war so unpersönlich wie der Warteraum eines Arztes.
Ich öffnete den Kleiderschrank, der der Couch genau gegenüberstand. Er war leer.
Ich ging in die Diele.
Ich blickte den Toten an und spürte, daß sich in meinem Inneren etwas verschob. Reggy Custer! Er war ein Zyniker gewesen, ein sensationsbesessener Reporter. Das war die eine Seite. Es gab noch eine andere. Reggy Custer hatte seinen Beruf ernstgenommen, er hatte den Lesern geliefert, was sie wollten. Es war leicht, sich über Sensationen zu mokieren, fest stand, daß Reggy Custer einer von denen gewesen war, die sie in meisterhafter Form brachten. Ich war manchmal mit ihm aneinandergerasselt, weil unsere Interessen kollidierten — aber ich hatte vor seinem Ehrgeiz, vor seinem journalistischen Können immer großen Respekt gehabt.
»Okay, Custer«, sagte ich. »Ich verspreche dir, den Job zu Ende zu führen«. Als ich meine heisere Stimme hörte, dachte ich wieder an den Mörder. Seine Stimme hatte sich mir fest eingeprägt. Ich würde sie wiedererkennen, wenn ich sie ein zweites Mal hörte, das war sicher.
Wo hatte Reggy Custer diese Stimme zum erstenmal vernommen?
Es gab in diesem Zusammenhang eine Menge Fragen, aber ihre Beantwortungen mußten warten, bis das Wichtigste erledigt war.
Auf dem Anstelltisch neben der Schlafcouch standen eine halbvolle Flasche Whisky, ein Reisewecker und ein Telefon. Ich nahm den Hörer ab und wählte die Nummer von Lieutenant Humbers Office.
Danach schaute ich mich in der Wohnung um. In der Küche herrschte peinliche Sauberkeit; der Kühlschrank war leer bis auf eine Dose mit belgischem Bier.
Nirgendwo fand sich ein schriftlicher Hinweis; ich entdeckte nichts, was konkrete Schlüsse auf Namen und Person des Mannes mit der heiseren Stimme gestattete.
Ich schaute mir die Wohnungstür an.
Sie hatte kein Namensschild. Ich machte im Treppenhaus Licht und ging nach unten. Im Erdgeschoß führte eine Tür in das Lokal. Sie diente auch als Ausgang zu den Toiletten. Custer war durch diese Tür vom Lokal ins Hausinnere gelangt.
Ich öffnete sie und trat über die Schwelle. Die Kneipe war größer als ich erwartet hatte. An der Theke standen fünf Männer. Die Tische waren unbesetzt. Ein
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