0439 - Todesspiel in Samt und Seide
Biers wahr. Er entströmte einem Stapel leerer Bierdosen, die genau unter der Feuerleiter lagen. Es war noch nicht ganz dunkel, das Haus war vier Stockwerke hoch, und die Feuerleiter führte an vielen Fenstern vorbei.
Erfahrungsgemäß liegen stets die Küchen und die Schlafzimmer zur Hofseite hin. Es war nicht anzunehmen, daß die Leute um diese Zeit im Schlafzimmer waren, und wer in der Küche arbeitete, mußte Licht machen. Ich fackelte nicht lange und reckte meine Arme, um die unterste Sprosse zu nehmen und mich hochzuziehen.
Ich bedauerte, daß ich einen hellen Anzug anhatte. Dadurch hob ich mich deutlich von dem Hintergrund ab. Egal, jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich kletterte die Leiter hinauf, immer darauf bedacht, möglichst schnell und lautlos an den Fenstern vorbeizukommen.
Drei Minuten später stand ich auf dem Dach. Es war nach hinten abgeplattet und eingezäunt. Die Dachluke stand offen,'und an einer Leine hingen mehrere Wäschestücke. Ich mußte jedoch, um nach vorn zu gelangen, den Außensims benutzen. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen, als ich mich darauf vorwärts bewegte, denn der Sims war sicherlich nicht dazu bestimmt, einen ausgewachsenen Mann zu tragen.
Behutsam setzte ich einen Fuß vor den anderen. Dann sah ich die Pilgrim Lane unter mir, sie wirkte wie ein dunkler, trister Schacht. Ich ging weiter, auf das nur wenige Yard entfernte, erleuchtete Mansardenfenster zu.
Ich hörte Stimmen. Jetzt sprach Custer. »Das ist doch alles Quatsch«, sagte er unwirsch. »Ich brauche Fakten, keine Märchen!«
Dann erklang eine andere Stimme. Ich hatte sie i).och nie gehört, aber ihr Klang bewirkte, daß sich meine Nackenhärchen sträubten. Es war eine heisere, sehr flexible Stimme; sie entsprach genau der Beschreibung, die die Schwester von der Stimme des mutmaßlichen Mörders gegeben hatte!
»Es gibt Dinge im Leben«, sagte er, »die sich wie Märchen anhören und trotzderh wahr sind. Sie als Reporter sollten das besser wissen als irgendein anderer!«
»Okay. Kommen Sie endlich zur Sache!«
»Ich wiederhole, daß ich nicht darüber sprechen darf, aber der Anruf erfolgte im Auftrag des CIA.«
»Ich habe Swifts Vergangenheit ziemlich genau durchforscht«, sagte Custer unwirsch. »Es war nichts darin zu entdecken, das Anlaß zu der Vermutung geben könnte, Swift habe mit dem CIA zusammengearbeitet.« Er lachte kurz auf. »Swift als Geheimagent! Das ist absurd!«
»Was ist so absurd daran?«
»Swift war ein kleiner Bankangestellter«, erklärte duster. »Ein Kassierer. Ein nüchterner Zahlenmensch, ein Mann ohne Dynamik, Phantasie und Elan. Eine Buchhalternatur. Womit hätte er dem CIA nützen oder schaden können? Ich will Ihnen etwas sagen, mein Junge: Sie haben sich rasch eine Geschichte ausgedacht, um mich bluffen zu können, stimmt es? Aber damit kommen Sie bei Custer nicht durch! Solche Ammenmärchen kaufe ich Ihnen nicht ab.«
»Was wollen Sie dann hören?«
»Das wissen Sie verdammt genau! Wer hat Swift umgelegt? Los, heraus mit der Sprache!«
»Ich war es nicht. Ich gebe zu, daß ich im Krankenhaus gewesen bin, aber…«
»Was wollten Sie dort?« forschte Custer.
»Ich hatte den Auftrag, Swift einige Anweisungen zu geben.«
»Auf Befehl des CIA, nehme ich an?« Custers Stimme klang höhnisch.
»Allerdings«, sagte der Fremde. »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen?«
»Wenn Sie Mitglied des CIA sind, bin ich Kossygins Vertrauensmann in Amerika!« spottete Custer.
»Moment«, sagte der Fremde. »Ich zeige Ihnen den Ausweis.«
Einige Sekunden herrschte Stille, dann sagte Custer verblüfft:
»Woher haben Sie das Ding?«
»Sehen Sie ihn sich genau an«, riet die heisere, keineswegs unangenehme Stimme selbstzufrieden. »Er ist echt. Ich muß Sie allerdings bitten, das alles vertraulich zu behandeln. Die Öffentlichkeit darf nicht das geringste davon erfahren.«
»Sie machen mir Spaß!« meinte Custer. »Wofür halten Sie mich eigentlich? Ich bin nicht an Ihre komischen Geheimhaltungsvorschriften gebunden! Ich bin Reporter. Ich lebe davon, Knüller aufzuspüren und darüber zu schreiben! Das hier ist ein Reißer ganz besonderer Art. Was hat der CIA mit dem Bankraub zu tun? wäre eine Schlagzeile nach meinem Geschmack. Mußte Swift sterben, weil es der CIA so wollte? wäre eine andere Möglichkeit. Hm, lieber nicht. Das würde uns nur in Schwierigkeiten bringen. Bestimmt findet sich etwas anderes, ähnlich Zugkräftiges. Fest steht, daß der Bericht wie eine Bombe
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