044 - Die Millionengeschichte
angefreundet zu haben. Du weißt doch, daß es Miss Léman ist?« wandte er sich an seine Frau.
Dann lachte er, bückte sich, hob sie von dem Bett auf und trug sie wieder in den großen, mit orientalischer Pracht ausgestatteten Raum.
»Ich will, daß du hier sitzt und alles hörst, was ich sage.Mit der Zeit erfährst du mehr und mehr und kannst ruhig alles wissen - Sie haben ja wohl erfahren, daß das nicht Mrs. Léman ist«, sagte er zu Faith, »sondern meine Frau. Sie ist allerdings nicht gerade sehr repräsentabel, sondern im Gegenteil eine der verkommensten und gemeinsten Frauen, die jemals ein Mann geheiratet hat. Aber was kann man schließlich von einer Frau erwarten, die nur um Haaresbreite dem Galgen entging?«
Er warf einen befriedigten Blick auf Margaret.
»Wenn du dir deine Niederträchtigkeit abgewöhnst und mich nicht verrätst, wird es dir schon besser gehen. Dann brauche ich dich nicht immer zu fesseln und werde dir auch sonst keine Unannehmlichkeiten bereiten.«
Faith sah, daß sich die Blicke der beiden auf die gegenüberliegende Wand richteten, wo eine kurze Peitsche hing.
»Ich glaube, Sie sind entsetzt über all das, was Sie hier erfahren, Miss Léman. Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Sie sind unter der Obhut Ihrer liebenden Mutter in guten Verhältnissen aufgewachsen, und was sonst noch alles in schönen Geschichten steht, aber Sie brauchen sich nicht aufzuregen.«
Er lehnte sich auf dem Diwan zurück, auf dem er Platz genommen hatte, zog ein großes, prächtiges Kissen zu sich heran, stopfte es in den Rücken und zündete sich dann eine Zigarette an.
»Sie brauchen sich durchaus nicht aufzuregen«, wiederholte er. »Vor allem muß ich Ihnen wohl die eine fundamentale Wahrheit nicht einhämmern, daß ein Mann unter allen Umständen leben will. Das menschliche Leben dauert ja nur eine kurze Spanne Zeit, und je mehr Glück und Befriedigung man sich in dieser kurzen Frist verschaffen kann, desto erfolgreicher ist man gewesen. Schon von meiner frühen Jugend an war mein Bestreben immer darauf gerichtet, mir möglichst wenig Unannehmlichkeiten und Sorgen zu machen. Ganz systematisch habe ich mir Mitleid und andere Untugenden abgewöhnt. Alle Sorgen um andere Leute belästigen einen im Grunde nur.«
Anscheinend war dies sein Lieblingsthema, und so schrecklich seine Worte auch klangen, er meinte sie vollkommen ernst. Es war fast, als ob er auf dem Katheder stünde und einen Vortrag über die Zweckmäßigkeit des menschlichen Lebens hielte!
»Egoismus ist kein Fehler, sondern eine Tugend. Erst darin zeigt sich eigentlich die reine Lebenskunst. Jeder Mensch ist Krankheiten unterworfen und hat Hindernisse zu überwinden -warum soll er sich dann auch noch mit den Sorgen anderer Leute abquälen? Das Elend seiner Freunde zu mildern, erscheint mir als eine große Dummheit, die den einfachsten Lebensgrundsätzen widerspricht.«
Er sagte das mit großem Bedauern, als ob ihm die Schwächen der Menschheit leid täten.
»In den wenigen Minuten, die Sie sich mit meiner Frau unterhalten haben«, er zeigte auf Margaret, die wieder bleich und ruhig in ihrem Stuhl saß, »müssen Sie den Eindruck erhalten haben, daß ich grausam bin, nur weil mir Grausamkeit Vergnügen bereitet. Aber nichts liegt mir ferner. Ich kann mich sogar rühmen, niemals einen Menschen oder ein Tier verletzt zu haben, es sei denn, daß ich es tun mußte, um mir einen Vorteil zu verschaffen. Man geht doch auch nicht einfach zu einem Pferd und schlägt es zwecklos mit der Peitsche; das tut höchstens ein brutaler Mensch, der Freude daran hat, Tiere zu quälen. Aber wenn man keine Zeit hat und den Zug noch erreichen muß, gibt man dem Pferd vor dem Wagen die Peitsche, damit es schneller geht. Ist das etwa Grausamkeit? Nein, durchaus nicht - das ist eiserne Notwendigkeit.«
»Ich finde Ihre Philosophie abscheulich«, sagte Faith ruhig.
»Aber Sie vergessen vollkommen, daß sie für mich notwendig ist. Ich habe meiner Frau Schmerzen verursacht, aber nur dadurch habe ich mich vor Schaden bewahren können.«
Er lächelte Margaret an, die seinem Blick gelassen begegnete.
»Ich mußte sie zum Beispiel bestrafen, weil sie mir über ein gewisses Dokument keine Auskunft geben wollte, das sie am Berkeley Square in den Briefkasten warf. Ich mußte sie mir fast vierundzwanzig Stunden lang scharf vornehmen, bis ich endlich die Wahrheit herausbekam. Aber dann zeigte sich, daß diese Mitteilung für mich von äußerster Wichtigkeit war.«
Er
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