0441 - Die Beerdigung
nicht verborgen blieb.
Wohl fühlte er sich nicht. Und schon gar nicht in der Gegenwart seines toten Freundes.
Er hatte den Sarg ungefähr in die Mitte der Kirche gestellt, in den breiten Raum zwischen zwei Säulen, die eine sich nach oben hin wölbende Decke abstützten.
Der Inspektor hatte Zeit. Er mußte sich von der Schlepperei erholen, ging einige Male um den Sarg herum, und nur seine Schritte waren zu hören. Seinen Atem hatte er mittlerweile wieder unter Kontrolle. Aber der Druck in seinem Magen hatte noch nicht nachgelassen. Es war seine innere Nervosität und auch die Anspannung, die auch ein Mann wie Suko nicht so einfach abschütteln konnte.
John war tot! Daran gab es nichts zu rütteln. Und er wollte dem toten Freund die letzte Ehre erweisen. Suko hatte keine Lust, im Dunkeln zu warten, deshalb war er nicht unvorbereitet gekommen. Seine Hand verschwand unter dem Jackett. Er holte vier lange, gedrehte Kerzen aus echtem Wachs hervor. Sie würden die Nacht über brennen.
Suko baute die Kerzen auf. Zwei am Fußende, die anderen beiden am Kopfende. Damit sie den nötigen Halt hatten, ließ er von den brennenden Dochten einige Tropfen auf die Erde fallen, um die Kerzen in diese weiche Masse hineinzupressen, die schnell erkaltete.
Das war erledigt…
Noch hatte Suko den Sarg nicht geöffnet, aber das wollte er. Er mußte seinem Freund während der Totenwache ins Gesicht schauen können, sonst wäre er sich wie ein Schuft oder ein Verräter vorgekommen.
Sein Gesicht zeigte einen verbissenen Ausdruck, als er daranging, die Schrauben zu lösen, mit denen der Sargdeckel festgeklemmt worden war. Der Reihe nach ging er vor. Die dabei entstehenden Geräusche knirschten in seinen Ohren. Er mochte sie nicht, weil sie auf ihn einen so endgültigen Eindruck machten, aber es ging kein Weg daran vorbei.
Mit beiden Händen faßte er zu, um den Sargdeckel abzuheben. Er kantete ihn gegen eine Säule, ging die wenigen Schritte wieder zurück und konnte in den Sarg hineinschauen.
Die Kerzen waren höher als der Sarg. Ihr Licht breitete sich nicht nur seitlich aus, es floß auch in den offenen Sarg hinein und beleuchtete den Toten.
Einen Toten, den Suko sehr gut kannte.
Der Chinese stand da und hatte die Hände geballt. In seinem Gesicht zuckte es. In diesem schrecklichen Augenblick war er wieder mit der ganzen Wahrheit konfrontiert worden, und diese war grausam genug.
Hier lag kein Scheintoter vor ihm oder ein Mensch, der sich zum Schlafen niedergelegt hatte, dieser Tote war echt.
Und er war sein Freund!
Das Licht strich über die Gestalt des Geisterjägers und drang auch vor bis zu seinem Gesicht, wo es über die Haut floß und ein Muster aus Hell und Dunkel bildete. Es tanzte auf der Haut, gab den Zügen nicht nur ein anderes Aussehen, es wirkte auch so, als würde Sinclairs Gesicht einem anderen gehören, so fremdartig und verzerrt war es geworden.
Und noch etwas kam hinzu.
Suko hatte das Gefühl, als würde es leben. Die sich durch den Luftzug bewegenden Kerzenflammen erweckten diesen Eindruck, der auch bei Suko einen regelrechten Schauer hinterließ.
Nur mühsam konnte er sich an den Anblick gewöhnen. Er wechselte seinen Standort und blieb am Fußende des Sargs stehen, so daß er mit seinem Blick die ganze Gestalt des Toten bis hin zum Gesicht erfassen konnte.
Sinclair lag auf dem Rücken. Die Hände waren ihm nicht auf der Brust zusammengelegt worden. Sie befanden sich rechts und links dicht an seinen Körper gepreßt.
Das Kerzenlicht fing sich auch in den offenen Augen des Geisterjägers.
Niemand hatte sie geschlossen, und so brachte das Licht der Kerzen so etwas wie unruhiges Leben in die Augen.
Suko starrte auf die Gestalt. Er stand bereits minutenlang am Fußende des Sargs, aber es war ihm nicht möglich, irgendwelche Gedanken zu fassen. Er sah den Toten und sah ihn trotzdem nicht.
Zu groß war die Leere in ihm…
Irgendwann kam der Zeitpunkt - Suko wußte nicht, ob Minuten oder schon Stunden vergangen waren -, als seine Gedanken allmählich Fuß faßten und sich mit den Dingen beschäftigten, die in der Vergangenheit lagen. Es drehte sich allein um ihn und John.
Bilder entstanden, drehten sich hin und her und formierten sich zu Szenen.
Es waren Abläufe, an die sich Suko noch sehr gut erinnern konnte, obwohl sie schon so lange zurücklagen.
Ein Fall, der ihn mit John zusammengebracht hatte. Das Grauen, das der Schwarze Drache verbreitet hatte. Und genau er war es, um den es sich handelte.
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