0452 - Die finstere Seele
er den Vorgang des Nüchternwerdens zu beschleunigen. Aber es ging nicht. Er hatte durch die Konzentrationslosigkeit zu Anfang Zeit verloren. Wertvolle Zeit. Eysenbeiß hatte verdammt genau gewußt, was er tat, als er dem Druiden den Alkohol zusätzlich einflößte. Gryf war noch nicht wieder soweit, daß er seine Para-Kräfte gezielt einsetzen konnte.
Er versuchte zwischendurch, Zamorra telepathisch zu erreichen, aber er schaffte es einfach nicht. In seinem Kopf war nur ein kreisendes Durcheinander.
»Es wird dir nicht gelingen, mich umzubringen«, sagte Gryf. »Daran sind schon ganz andere gescheitert. Ich gebe dir einen guten Rat. Gib auf. Verschwinde einfach. Gib das Mädchen frei, du verdammter Dybbuk. Wie hast du es überhaupt geschafft, sie zu übernehmen?«
»Oh, das war ganz einfach«, versicherte Eysenbeiß. »Auch du würdest es lernen können. Aber ich gebe dir keine Gelegenheit mehr dazu. Du wirst dumm sterben.«
Gryf hätte ihn am liebsten erwürgt. »Reicht es dir nicht, mich umzubringen? Mußt du auch noch die Seele dieses Mädchens vergewaltigen?«
»Ach, Druide, diese Seele ist doch längst ausgelöscht. Raven Brooks lebt nicht mehr. Ich lebe - in ihrer Gestalt. Es ist nichts mehr rückgängig zu machen.«
Gryf spie aus, aber Eysenbeiß wich dem Speichel geschickt aus.
Er nahm den Dolch fester.
Gryf versuchte sich auf einen Angriff zu konzentrieren. Doch es gelang ihm nicht. Er hatte zwar das Gefühl, daß er es schon in ein paar Sekunden schaffen würde, aber es reichte doch nicht ganz.
Er stöhnte auf.
Eysenbeiß senkte den Dolch. Gryf konnte seinen Kopf nicht so weit bewegen, daß er sah, was geschah. Im ersten Moment spürte er nicht einmal Schmerz. Der kam erst, als der Druide auch die Feuchtigkeit an seinen Handgelenken spürte.
Das Entsetzen packte ihn.
Eysenbeiß hatte ihm beide Pulsadern geöffnet!
Jetzt richtete er sich auf und stand breitbeinig vor dem Druiden, der immer noch gefesselt war. In rhythmischen Wellen quoll das Blut aus den Adern hervor. Eysenbeiß lächelte.
»So einfach«, sagte er, als sei er darüber verwundert. »So unglaublich einfach… für mich! Aber für dich ist es noch nicht zu Ende!«
Gryf preßte die Lippen zusammen. Was wollte Eysenbeiß damit sagen?
»Ich werde dir etwas erzählen«, sagte Eysenbeiß. »Ich werde dir etwas über die Zukunft erzählen. Über die Zukunft der Menschen, die du liebst, die du deine Freunde nennst und die dir jetzt doch nicht mehr helfen können, weil keiner von ihnen weiß, wo du dich befindest. Weißt du, Druide, ich habe eine bemerkenswerte Fähigkeit erlangt. Ich kann in die Zukunft sehen. Und ich erzähle dir gern, was ich dort sehe. Allerdings fürchte ich, daß es dir gar nicht gefallen wird. Gar nicht…«
»Halt den Mund«, zischte Gryf.
Aber Eysenbeiß begann zu plaudern. So locker, als befände er sich in heiterer Gesellschaft…
***
Ein kleines Fragment von ihr erwachte wieder!
Ich bin Rabenfeder! Ich habe einen Körper. Aber er gehört mir nicht. Was ist das, das mich erdrückt?
Sie versuchte sich zu erinnern. Was war geschehen? Sie wußte es nicht. Das Fragment ihres Bewußtseins war zu klein. Es konnte nichts abrufen, das von Bedeutung gewesen wäre. Sie wußte nur, daß sie eine Frau war. Und daß jemand sie auf die brutalste nur vorstellbare Weise unterdrückte.
Ein ganz kleines Stückchen kam zu dem Fragment hinzu. Wenn ich herausfinden will, wer ich wirklich bin und was mit mir geschehen ist, muß ich wachsen. So schnell wie möglich!
Und sie begann sich anzustrengen, mit aller Kraft, über die der winzige Bewußtseinssplitter verfügte.
Es brauchte seine Zeit. Es ging quälend langsam. Nur ganz allmählich wuchs das Bewußtsein. Und sie erkannte, daß sie vorsichtig sein mußte. Der sie unterjochte, durfte nichts von ihrem Wiedererwachen wissen.
Warum?
Das konnte sie noch nicht erkennen. Sie ahnte nur, daß es wichtig für ihr Überleben war. Deshalb ging sie vorsichtiger und langsamer zu Werk.
Aber ihr Ziel war, ihren Körper wieder in Besitz zu nehmen.
***
»Verrat?« donnerte Julian. »Wovon faselst du, Dämon?«
»Höre ihn an«, mahnte Stygia, was ihr einen tadelnden Blick Astaroths eintrug. Julian sah die geflügelte Dämonin an. In seinen Augen leuchtete es, als er die Hand hob und drei Finger, deren Spitzen ein imaginäres Dreieck bildeten, auf sie richtete. Dann floß eine eigenartige Kraft aus diesem Dreieck. Stygia versuchte auszuweichen. Im ersten Moment schien es ihr zu
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