0452 - Die finstere Seele
sprachen ihm die Freunde auch etwas mehr zu, als es sonst ihre Art war. Gryf, der Druide, hatte mit einem Zauber dafür gesorgt, daß der Alkoholspiegel im Blut sich nicht ganz so schnell aufbaute wie unter normalen Bedingungen. Dem Geschmack nahm das nichts.
»Dabei haben wir durchaus einen Grund, uns vollaufen zu lassen wie eine Talsperre«, hatte Zamorra ein paar Stunden vorher gesagt. Immerhin war Gryf mit einer Hiobsbotschaft zurückgekehrt, die den Parapsychologen fast umgeworfen hatte.
»Julian Peters ist der Fürst der Finsternis!«
Gryf mußte es wissen. Gryf hatte gegen die Traumprojektion des Fürsten gekämpft, diesen schwarzen mörderischen Krieger, und hatte dabei einen Blick hinter die Kulissen werfen können.
Es gab keinen Zweifel.
»Es gibt aber auch keinen Zweifel daran, daß er nicht in diese Rolle gezwungen worden ist, sondern sie aus freien Stücken eingenommen hat«, hatte Gryf ergänzt. Damit hatte er eine eigene Fehleinschätzung zugeben müssen. Als es sich herumsprach, daß Leonardo deMontagne hingerichtet worden sei und es einen neuen Fürsten der Finsternis gäbe, hatte Gryf immer wieder behauptet, bei diesem könne es sich um keinen anderen als Asmodis handeln, der vor einiger Zeit seinen Thron aufgegeben und die Seiten gewechselt hatte, um als Sid Amos zu Merlins Stellvertreter zu werden. Praktischerweise war Sid Amos vor kurzem spurlos verschwunden, was Gryfs Verdacht bestärkte, er habe seinen alten Posten als Asmodis, Fürst der Finsternis, wieder eingenommen.
Für Gryf, der wie viele andere immer wieder vor Sid Amos gewarnt hatte und behauptete, »Teufel bleibt Teufel«, mußte dies ein zusätzlicher Nackenschlag sein. Aber einen Irrtum zuzugeben und dazu zu stehen, fiel ihm unter Freunden nicht zu schwer, zumal noch nicht bewiesen war, daß Sid Amos keine andere Funktion in den Tiefen der Hölle eingenommen hatte. Nach wie vor war Amos nicht aufzuspüren.
»Ich habe es geahnt«, gestand Nicole Duval plötzlich.
Die beiden Männer sahen sie an. »Du? Wieso?«
Nicole jonglierte ihr Whiskeyglas hin und her. »Die Angriffe auf uns. Château Montagne, das wir nicht verlassen konnten, als wir nach Julian suchen wollten. Dann die Angriffe hier in Baton Rouge… ich ahnte, daß es Julian sein könnte. Ich habe nicht damit gerechnet, daß er die dritthöchste Position in der Hölle eingenommen hatte, aber ich ahnte, daß er es war, der hinter den Angriffen steckte.«
»Warum hast du nichts gesagt?« stieß Zamorra hervor. Die Eröffnung seiner geliebten Lebensgefährtin und Sekretärin überraschte ihn.
»Ich war mir nicht sicher«, sagte Nicole. »Aber jetzt bin ich es. Denk mal nach. Stell dir einen Jungen vor, der während seiner ganzen Entwicklungsphase verhätschelt und abgeschirmt wird, der nicht einmal Spielkameraden hat, weil seine Existenz vor der Welt geheimgehalten werden muß. Bei Merlins hohlem Backenzahn, ich kann seinen Frust verdammt gut nachempfinden. Er will unbeaufsichtigt seine eigenen Wege gehen. Und wir sollen ihn daran nicht hindern. Deshalb diese Angriffe, die ich als Warnungen verstehe. Immerhin hat es dabei keinen größeren Schaden gegeben. Es waren nur Illusionen, die uns erfolgreich abschreckten. Erst als wir hier in Baton Rouge auftauchten, wo er auch seine Hände im Spiel hatte, wurde er energischer und schickte uns diesen Krieger auf den Hals. Aber auch hier hat es keine Personenschäden gegeben! Keiner von uns ist verletzt worden! Hätte ein wirklicher Dämon solche Rücksichten genommen?«
Zamorra schüttelte langsam den Kopf. Nicht einmal Asmodis kam dafür in Frage. Asmodis war zwar immer fair und ehrlich gewesen, aber in seiner Zeit als Höllenfürst dennoch ein gnadenloser Gegner, der jede Schwäche ausnutzte und zuschlug, um zu töten.
»Wie bringen wir das Robert bei?« fragte Nicole. »Wie machen wir ihm klar, daß sein Sohn, den er doch unter allen Umständen vor den Dämonen schützen wollte, Chef der Dämonen geworden ist? Für Robert bricht doch eine Welt zusammen!«
»Und für die Peters-Zwillinge«, ergänzte Zamorra. »Himmel, können wir es ihnen überhaupt sagen? Wie werden sie reagieren?«
Gryf leerte sein Glas. Durch die Magie war er nach wie vor stocknüchtern. Entsprechend waren seine Worte zu deuten.
»Was auch immer ihr jetzt denkt und plant: Vergeßt nicht, daß Julian als Fürst der Finsternis nicht mehr unser Schützling ist, sondern unser erbittertster und tödlichster Feind, weil er all unsere Schwächen
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