0452 - Udexa kommt
nicht damit gerechnet, so lange über einen Moorsee rudern zu müssen. Das sagte er mir auch. »Wenn ich aus dem Fenster schaute, habe ich diesen Riesentümpel kaum gesehen.«
»Nur gerochen, wie?«
»So ungefähr.«
Auch der blinde Fenton hatte unsere Worte vernommen. »Riecht ihr das tote Wasser?« fragte er.
»Noch nicht!« antwortete Suko.
Fenton lachte. »Das kann ich mir vorstellen. Wir Blinden haben unsere übrigen Sinnesorgane viel mehr geschärft als ihr. Was ihr seht, kann ich ertasten. Was eure Nasen nicht wahrnehmen, rieche ich. Und ich rieche das tote Wasser.«
»Befindet es sich dort, wo der Dunst über dem Sumpf schwebt?« fragte Suko.
»Ja.« Der Blinde räusperte sich.
»Schaut euch das Wasser an. Es müßte bereits anders aussehen. Wie Jauche oder altes Brakwasser…«
So wie er die Worte gesprochen hatte, war er sich sehr sicher. In der Tat trafen sie auch zu, als wir über die Bordwand schauten. Es schwammen weniger Wasserlinsen auf der Oberfläche, und die Farbe war tatsächlich eine andere geworden.
Grau, brakig, stinkend.
Das tote Wasser…
Ich schaute nach vorn. Das Klatschen der Wellen hatte uns begleitet. Jetzt hörte es sich nicht mehr so dumpf an, und wir sahen auf den Wellen manchmal etwas schaukeln. Die Gegenstände wirkten auf uns wie tote, krumme Arme, die irgendwo abgetrennt worden waren. Wenn wir näher an sie heranruderten, erkannten wir, daß es abgestorbene Äste oder Zweige waren. Das Wasser wurde auch flacher. Aus ihm hervor wuchsen kleine Krüppelbäume, die ihre Äste krumm in den Himmel streckten, als würden sie von dort Hilfe erwarten.
Unser Boot schaukelte auf die einzelnen Bauminseln zu. Wir ließen uns auch treiben. Ich legte das Ruder ins Boot beugte mich zur Seite und faßte nach einem auf der Wasserfläche treibenden Stück Holz. Es war ein regelrechter Baumstumpf, der mir entgegentrieb.
Ein paar dicke Äste standen von ihm ab, fast wie die Stacheln eines Igels. Ich hielt mich an dem weißschimmernden toten Holz fest. Es war von innen hohl.
Der Blinde wußte genau Bescheid, obwohl er nichts sehen konnte.
»Na, habt ihr es herausgefunden?«
»Ja.«
»Alles tot, hier sind wir richtig.«
»Lebt hier Udexa?« fragte ich.
»Nein das glaube ich nicht so, aber das Monstrum hat hier seine Spuren hinterlassen.« Er räusperte sich. »Schaut es euch an. Hier wächst nichts mehr, und die Luft riecht nach Schwefel.«
Der Mann hatte sich nicht geirrt. In der Tat lag in der Luft ein Schwefelgeruch, den ich als widerlich bezeichnete.
»Rudert weiter!«
»Wohin?« fragte Suko.
»Zur Insel. Ihr müßt auf die Insel des toten Wassers. Dort werdet ihr es sehen können.«
»Was sehen können?«
»Fahrt nur hin und berichtet mir. Taucht die Ruderblätter ins Wasser. Ihr könnt sie nicht verfehlen. Die Insel und die Höhle sind wichtig. Da wird es sich entscheiden, ob wir lebend aus dem Sumpf wieder herauskommen oder nicht.«
Der Blinde hatte so gesprochen, daß es einem angst und bange werden konnte.
Suko hatte sich für einen Moment hingestellt, um einen noch weiteren Blick zu haben. Als er sich wieder setzte, deutete er mit dem Arm über den Bug des Kahn hinaus. »Ich habe die Insel gesehen. Sie ist ein noch dunklerer Schatten auf dem Wasser.«
»In welcher Richtung?«
Er griff wieder nach dem Ruder. »Wir können diesen Kurs beibehalten, dann erreichen wir sie.«
Die Pause hatte gutgetan. Der blinde Fenton bewegte sich unruhig auf der Heckbank. Wir hörten das Knarren des Holzes und dazwischen sein Flüstern. Es war nicht herauszufinden, ob er mit uns oder mit sich selbst redete. »Das ist das Gebiet des Teufels. Hier hat er seine Heimat. Hier hat er Udexa erschaffen. Hier darf sich kein Mensch hineintrauen, wenn er nicht lebensmüde ist. Aber ihr seid lebensmüde, nicht wahr?«
»Nein!«
»Dann fahren wir zusammen in die Hölle.« Jeder, sah die Hölle anders. Ich würde die Sumpfgegend als unheimlich bezeichnen, als tot und abgestorben. Da gab es kein Leben. Nicht ein grüner Halm schaute aus dem grauen Wasser. Was die Oberfläche durchbrach, waren die weisen Arme der abgestorbenen Sumpfbäume. Manchmal sahen sie so aus, als wollten sie uns mit ihren krummen Ästen hämische Grüße entgegensenden.
Es gab auch Zweige oder Äste, die abgebrochen waren. Sie schwammen auf dem Wasser und begannen zu schaukeln, wenn die Wellen unserer Ruderbewegungen sie erfaßten.
»Da ist die Insel!«
Suko hatte es ohne Betonung ausgesprochen. Sein Blick war starr auf
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