0452 - Udexa kommt
nach anderen Leichenteilen.
Zu sehen waren sie nicht, auch schwer auszumachen, wenn sie als blanke Knochen zwischen dem Treibgut schwammen.
»Jetzt kann ich mir ungefähr vorstellen, wo die Verschwundenen geblieben sind«, sagte Suko.
»Ich auch.«
»Dann könnte es sich bei Udexa um einen Kannibalen handeln.«
»Kannibalin.«
»Auch das. Bleibt im Prinzip das gleiche.« Suko schüttelte den Kopf. »Mir will das nicht in den Kopf. Ist Udexa eine Sumpfhexe?«
»Nein!« Fenton hat uns die Antwort gegeben. »Sie… sie ist viel mehr.«
»Was, denn zum Henker?« Ich wurde leicht ärgerlich. »Sagen Sie es uns doch!«
Fenton schluckte. »Jetzt sind wir schon so weit gerudert, da kann ich es euch ja sagen. Vielleicht wärt ihr zuvor vor Angst und Entsetzen umgekehrt. Ihr wart im Dorf?«
»Ja«, antworteten Suko und ich wie aus einem Munde.
»Da habt ihr wahrscheinlich auch das kleine Denkmal gesehen – oder?«
»Die Kröte am Brunnen, die Wasser speit?« fragte Suko.
»So ist es.« Der Blinde rutschte unruhig auf seiner Bank hin und her.
»Diese Kröte wurde zu Ehren Udexas errichtet, damit die Menschen sich an sie erinnern und sie auch unter Umständen gnädig stimmen, denn hin und wieder kommt sie hervor. In den letzten Tagen war es besonders schlimm, da wollte sie Opfer.«
»Demnach ist Udexa eine Kröte!« stellte mein Freund Suko fest.
Der Blinde ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Ja, sie ist eine Kröte, die hier im toten Wasser ihre Heimat hat. Aber sie ist kein gewöhnliches Tier, sondern ein besonderes. Udexa ernährt sich von Menschen. Sie verschlingt sie.«
Ich saß steif, spürte die kalte Haut auf dem Rücken und warf meinem Freund Suko einen schiefen Blick zu. Der Chinese schluckte und war kalkig geworden.
»Wenn du recht hast, Fenton!« sagte er leise, »muß sie verdammt groß sein.«
»Das ist sie auch. Wer Udexa sieht, hat das Gefühl, vor einem gewaltigen Haus zu stehen. Sie beherrscht den Sumpf, und sie ist so groß wie ein Haus, in dem mehrere Etagen sind. Ist eure Neugierde jetzt befriedigt worden?«
»Das kann man wohl sagen!« preßte ich hervor.
Suko nickte nur.
Fenton fragte: »Wollt ihr jetzt wieder zurückrudern? Noch hat sie sich uns nicht gezeigt. Vielleicht haben wir eine Chance, weil sie sich auf andere Dinge konzentrieren wird.«
»Auf welche, zum Beispiel?«
»Den Anzeichen entnehme ich, daß Udexa auf Raub gehen wird. Auf Menschenraub. Dann verläßt sie den Sumpf und stürzt sich über die Menschen, die sich nicht wehren können. Die Leute aus Wye werden heute beim Fest sein. Der Jahrmarkt erlebt seinen ersten Höhepunkt. Ich habe das Gefühl, als würde Udexa dort erscheinen.«
»Das darf doch nicht wahr sein!« preßte ich hervor.
»Es stimmt. Oder es kann stimmen. Sie ist furchtbar, sie ist grauenhaft.«
Während der gesamten Ruderei hatte ich schon stark geschwitzt.
Nun aber drang noch mehr Schweiß aus meinen Poren. Was man mir da mitgeteilt hatte, ging mir unter die Haut. Udexa sollte eine Kröte sein, die auf Menschenjagd ging?
Das war kaum zu fassen, aber was hatten wir nicht alles schon erlebt? Weshalb nicht mal eine menschengroße Kröte.
»Hat es euch die Sprache verschlagen?«
»Im Augenblick ja«, gab ich zu. »Weißt du, wieso Udexa zu einer solchen Bestie geworden ist?«
»Durch den Teufel. Die Menschen in früheren Zeiten haben dort den Teufel angebetet und einer alten Tiermagie gefrönt. Sie hatte sich bis in die neue Zeit erhalten.«
»Gut, dann werden wir Udexa stellen und ihren Helfer auch, diesen geheimnisvollen Killer. Kennst du ihn ebenfalls?«
»Ich habe einen Verdacht«, erwiderte der Blinde mit einer spröde klingenden Stimme.
»Willst du ihn aussprechen?«
»Nein, es ist nur ein Verdacht. Vielleicht bekomme ich ihn noch heute bestätigt. Da müssen wir abwarten.«
»Vorsicht, John!«
Suko hatte diesmal mich nicht vor einem Monstrum warnen wollen, sondern vor der Insel, deren Ufer wir in diesem Augenblick erreichten. Der Bug federte gegen aus dem Wasser ragende Äste. Der Kiel schrammte über den Untergrund, und wir konnten das Boot verlassen.
Suko stieg als erster aus. Er brach in das hellgraue Bollwerk aus abgestorbenen Uferbäumen ein, deren Reste unter seinem Gewicht zerknackten.
Ich schleuderte ihm das Tau zu, das er geschickt auffing und an einer Baumwurzel festband. »Ein Sturm darf nicht kommen, dann wird es abgerissen.«
Ich half Fenton aus dem Boot. Er bewegte sich ziemlich sicher. Sogar seinen Blindenstock
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