0455 - Der Lord und die Geister-Lady
sitzen zu sehen, doch sie sah noch so aus wie vor dem Treffer. Darüber kam der Lord nicht hinweg.
»Ist was?« fragte die Geister-Lady.
Peter Danford ging zurück. Er fiel in seinen Sessel, griff nach dem Whisky und trank direkt aus der Flasche. Als er sie wieder absetzte, rann noch ein Teil der Flüssigkeit an seinem Kinn herab und versickerte im Hemdkragen.
Die Geister-Lady nickte. »Ja, trink ruhig, mein edler Gatte. Es sei dir gegönnt. Wahrscheinlich wird der Alkohol in der nächsten Zeit dein einziger Trost sein, denn hier wird sich einiges ändern, das kann ich dir versprechen.«
»Was?« Er fragte es krächzend.
»Ich übernehme das Kommando, denn ich bin geschickt worden. Ich habe die rote Sonne gesehen, ich sah eine Person, dunkelhaarig, einen Geist möglicherweise. Shao!« Sie bewegte den Kopf. »Ja, ich habe einen Blick in das Totenreich werfen können, doch es war ein anderes Reich als das, das du dir vorgestellt hast. Ich habe es gesehen und komme mir vor wie eine Botin. Verstanden?«
»Nicht ganz…«
Lady Mary winkte mit der Knochenhand ab. »Das macht nichts. Das macht überhaupt nichts. Wir bleiben beisammen und werden unsere Aufgaben gemeinsam lösen…«
***
Gilbert, der Butler, stand schon seit langen Jahren in den Diensten der Danfords. Er war auch so, wie ein Butler sein mußte. Leise, diskret, verschwiegen.
Wäre er dies nicht gewesen, hätte niemand mehr einen Blumentopf von ihm genommen.
Aber es gab Dinge, die er nicht akzeptieren konnte. Irgendwo mußte es eine Grenze geben.
Die Grenze hatte dort angefangen, als ihn der Lord mit zum Familien-Friedhof nahm, um die Lady aus dem Grab zu holen. Seit fünf Tagen hatte sie in der kalten Erde gelegen. Sie war lebendig gewesen, war gelaufen, hatte das Grab verlassen, als wäre nichts geschehen.
Gilbert wußte ja, daß sein Brötchengeber ein besonderer Mann war, sehr belesen, an vielen Dingen interessiert und auch ein weit gereister Mensch, der sich besonders mit den Praktiken der Eingeborenen fremder Länder auseinandergesetzt hatte.
Er hatte zwar nie konkret mit seinem Butler darüber gesprochen, aber auch Andeutungen reichten aus, und er hatte stets betont, daß es ihm irgendwann gelingen würde, den Tod zu überwinden.
Wie die Eingeborenen auf Haiti, die Zauberer, die Docs, die wahren Meister des Voodoo.
Experimente, die Weißen verborgen bleiben sollten. Um Tabus hatte sich der Mann nie gekümmert. So war er nach Haiti gefahren und auch erfolgreich zurückgekehrt, wie er sagte.
Das Experiment war geglückt. An seiner eigenen Frau hatte der Lord es ausprobiert und keinen Menschen in seine Pläne eingeweiht. Alle hielten Lady Mary für tot.
Das hatte auch der Butler getan, bis er eines Besseren belehrt worden war und für sich persönlich fand, das dies ein Grund war, die Diskretion aufzuheben.
Mit anderen Worten: Gilbert wollte endlich wissen, was in diesem Hause geschah. Erst wenn er darüber informiert war, würde er sich seine weiteren Schritte überlegen, die durchaus in eine Kündigung münden konnten.
Lord und Lady Danford hatten allein sein wollen. Verständlich.
Das hätte Gilbert auch normalerweise akzeptiert, aber der Normalfall war nicht mehr gegeben.
Die Lady war aus dem Sarg zurückgekehrt, hatte ihr Grab verlassen und hockte nun zusammen mit ihrem Gatten vor dem Kamin.
Sie hatten sich einiges zu sagen, das wußte der Butler auch, als er in seinem Zimmer nachdenklich auf- und abging.
Sein Entschluß stand plötzlich fest. Er hatte jahrelang die Diskretion geübt. Das war vorbei. Gilbert wollte endlich wissen, was in diesem Hause gespielt wurde.
Aus diesem Grunde verließ er seinen Raum, nahm die breite Flügeltreppe nach unten und blieb vor der Tür des Kaminzimmers mit klopfendem Herzen stehen.
Jetzt bekam er doch Gewissensbisse. Was er vorhatte, tat ein englischer Butler normalerweise nicht.
Es mußte sein.
Die Fläche seiner rechten Hand war mit Schweißtropfen bedeckt, als er sie auf die Türklinke legte. Sehr vorsichtig drückte er die Klinke nach unten. Jedes überflüssige Geräusch wollte er vermeiden.
Gilbert kannte das Haus, er trug auch die Verantwortung dafür, daß alles funktionierte. So war es auch mit der Tür.
Sehr gut geölt, schwang sie lautlos auf.
Gilbert warf einen Blick in das Zimmer.
Kaum etwas hatte sich verändert, sah er davon ab, daß das Kaminfeuer neue Nahrung hätte gebrauchen können.
Der Lord hatte seinen Platz verlassen und nach einem schweren Schürhaken
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