0455 - Der Lord und die Geister-Lady
gegriffen. Er hielt ihn in der rechten Hand und schlich auf den Sessel zu, in dem seine Gattin saß.
Das roch nach Mord!
Einem ersten Impuls folgend, wollte der Butler die Tür wieder schließen. Es siegte seine Neugierde, und so schaute er zu, wie der Lord dicht hinter dem Sessel stehenblieb und den Schürhaken anhob.
Er schlug nur einmal zu.
Gilbert hatte das Gefühl, bewußtlos zu werden. Er wurde es nicht, dafür sah er, daß der Lord zurücktrat, er hörte das Lachen der Lady und erlebte schreckliche, alptraumhafte Sekunden.
Wie konnte jemand leben, der von einem Schürhaken mit voller Wucht am Kopf getroffen worden war?
Sie lebte nicht nur, sie lachte und sprach auch mit ihrem Mann, der zum Mörder hatte werden wollen.
Gilbert bekam jedes Wort mit. Sein Gehör und sein Gedächtnis funktionierten ausgezeichnet. So vernahm er jedes Wort, und er behielt es auch. Allmählich wurde ihm klar, daß sich in diesem Haus so viel verändert hatte, daß er einfach nicht länger bleiben konnte.
Es war ihm nicht möglich, mit diesen Menschen zusammenzuleben.
Für ihn waren es keine Menschen, sondern reine Monstren, schreckliche Typen, die das Grauen verbreiteten. Er wollte auf keinen Fall in diesen Kreislauf des Schreckens mit hineingezogen werden.
Gilbert zitterte, als er sich zurückzog und die Tür schloß. Soweit er festgestellt hatte, war er von den anderen nicht bemerkt worden. Sie ahnten nichts von einem Zeugen.
Der Butler wollte nicht mehr hoch in sein Zimmer. Geld trug er bei sich. Er konnte in ein Hotel gehen, und der Kleinwagen, den er fuhr, parkte auch günstig.
Noch war es Zeit, dieses Haus zu verlassen, und so zögerte Gilbert keine Sekunde länger.
Als er hinter dem Lenkrad saß und den Fiat startete, kam er sich vor, als wäre er aus einem Traum erwacht.
Alles, was er gesehen hatte, schien nicht wahr gewesen zu sein.
Im nachhinein aber überwältigte ihn die Erinnerung, und er wußte auch, was er zu tun hatte.
Gilbert wollte zur Polizei gehen.
Aber nicht in irgendein kleines Revier, sondern direkt zu den besten unter den Polizisten.
Zu Scotland Yard!
***
Während mir der herrliche Kaffeeduft in die Nase stieg, sagte Glenda Perkins, meine Sekretärin, folgendes: »Ich kenne Leute, die sehen anders aus, wenn sie aus Paris kommen.«
»Wie denn?«
»Glücklicher.«
»Na ja. Dann haben die vielleicht andere Dinge erlebt als ich. Mich hat jedenfalls niemand glücklich gemacht.«
»Also keine Frau?«
Ich nahm den ersten Schluck, den zweiten sofort danach und erwiderte: »Bis jetzt habe ich noch nicht von Templerinnen gehört. Nur von Templern. Frauen spielen bei ihnen keine Rolle.«
»Eine Macho-Gesellschaft.«
»Meinetwegen auch das.«
»Willst du dich nicht streiten?« fragte Glenda und schaute zu, wie ich mich zurücklehnte.
»Nein, du?«
»Ich bin heute in Form.«
»So siehst du auch aus.«
Ihre Augen blitzten. »Was soll das heißen?«
»Die neue Herbsthose, die scharfe Bluse, da steckt schon was dahinter.«
Glenda verzog die Mundwinkel. »Das ist typisch für dich, so zu reagieren.«
»Mir ist noch etwas aufgefallen.«
»Was denn?«
Ich grinste, trank noch einen Schluck und fragte: »Soll ich es wirklich sagen?«
»Ich bitte dich darum.«
»Aber steinige mich anschließend nicht.«
»Keine Sorge, ich kratze dir nur die Augen aus. Das wirst du ja verkraften können.«
»Zur Not bestimmt.« Ich hob die Hand. »Ja, was ich dir noch sagen wollte. Du hast den gleichen Kurzhaarschnitt wie Jane Collins. Habt ihr euch abgesprochen?«
Glendas Nasenflügel weiteten sich, als sie die Luft einsaugte. »Auf so etwas antworte ich dir doch gar nicht, du Ekel.«
»Aber das stimmt.«
»Ja, ja, ich weiß…«
Ich warf einen Bleistift locker hoch und fing ihn wieder auf. »Immer noch eifersüchtig?«
»Nein!«
Sie sagte das Wort so, daß ich es ihr glauben konnte oder auch nicht. Es war auch egal. Ich wechselte das Thema und kam zu einem wesentlich ernsteren Problem.
»Was ist mit Suko?«
Glenda drehte sich ab und ließ sich auf den Stuhl des Inspektors fallen. Für mich irgendwie ein Zeichen, daß sich mein Freund und Kollege noch nicht gemeldet hatte.
»Nichts?« fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf und nickte dann.
»Wie soll ich das wieder verstehen?«
»John, man hat mich nicht eingeweiht, aber ich werde das Gefühl nicht los, daß Sir James Powell mehr weiß, als er mir gegenüber zugeben will. Er hat auf dich gewartet.«
»Weshalb bin ich dann noch nicht bei
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