0455 - Der Zeit-Zauberer
war sie unverletzt. Aber Merlin wußte nicht, wie es in ihrem Inneren aussah, in Geist und Seele. Denn er wagte es nicht, den magischen Schutzschirm zu durchdringen, der Sara umgab und daran hinderte, zu erwachen und auszubrechen. Der Schutzschirm legte ihr schwarzmagisches Potential lahm, aber er verhinderte auch, daß Merlin Verbindung zu ihrem Geist aufnehmen konnte. Er konnte nur immer wieder sehen, ob es ihr körperlich gutging.
Das war bisher der Fall, änderte aber nichts an seinen bangen Gedanken. Merlin wollte sie nicht verlieren. Wie Zamorra, so sann auch er darauf, daß es vielleicht eine Möglichkeit gab, sie auf den rechten Weg zurückzuholen. Es mußte möglich sein! Merlin hatte in seinem langen, langen Leben schon viele Opfer gebracht. Er wollte nicht auch noch dieses Opfer bringen müssen. Es war schon genug, daß er Sara Moons Mutter verloren hatte. Durch ein Mißverständnis hatte sich die Zeitlose gegen ihn gestellt, und Asmodis, Merlins dunkler Bruder, hatte sie im Zorn erschlagen!
»Sara«, flüsterte Merlin. »Überlebe, überlebe, mein Kind.«
Doch was konnte er tun?
Nichts! Er war zu geschwächt, um aktiv einzugreifen und sie zu stabilisieren. Er konnte es nicht einmal riskieren, sie zu wecken, um mehr über ihren augenblicklichen Zustand zu erfahren. Denn er wußte, daß er sie mit seiner Kraft nicht unter Kontrolle halten konnte. Früher wäre das spielend leicht gewesen, und in Zukunft würde es auch wieder spielend leicht sein. Aber nicht jetzt, da seine Kraft ihm entfloß und zu einer Bestimmung strömte, die er ihr schon vor einiger Zeit gegeben hatte. Dies konnte er jetzt nicht mehr rückgängig machen. Er mußte damit leben, zur Zeit sehr, sehr schwach zu sein.
So blieb ihm nur die Hoffnung.
Die Hoffnung, daß Ted Ewigk mit seinem unglücklichen Wurf nicht viel mehr Schaden angerichtet hatte, als ursprünglich abzusehen gewesen war…
***
Professor Zamorra und Nicole stießen bei ihrer Suche nach Raffael Bois aufeinander. »Er wird doch nicht mit einem Herzinfarkt irgendwo liegen? Bei Leuten seines Alters muß man mit allem rechnen«, murmelte Zamorra. »Ich habe die Zwillinge gebeten, sich ebenfalls überall umzusehen. Sie kennen außerdem sein Bewußtseinsmuster. Sie werden ihn eher aufspüren als wir.«
»Falls er nicht tot ist«, gab Nicole zu bedenken. »Jetzt haben wir also drei Probleme auf dem Hals: den Fremden, Raffael und diesen Drachen.«
Zamorra senkte die Brauen. »Hast du ihn etwa wieder gesehen?«
Nicole nickte und berichtete ihm von ihrer Beobachtung. Zamorra nagte an seiner Unterlippe.
»Zweimal hintereinander, das kann keine Illusion mehr sein«, sagte er. »Aber etwas an der Sache stört mich dennoch. Ich weiß nur nicht, was es ist. Vielleicht hängen alle diese drei Probleme ursächlich miteinander zusammen.«
»Daran habe ich auch schon gedacht.«
Sie waren den Gang weiter entlang geschlendert und erreichten schließlich den Frühstücksraum, der als eine Art Durchgangszimmer zwei Türen besaß. »Vielleicht liegt Raffael da drinnen, ist bei der Arbeit zusammengebrochen. Immerhin hat er uns ja auch nicht begrüßt, wie er es sonst tut, als wir vom Dorf herauf kamen.«
»Wie er es meistens tut«, schränkte Zamorra ein. »Schauen wir nach.«
Er öffnete die Tür, trat ein - und erstarrte.
Von Raffael Bois war nichts zu sehen. Aber am gedeckten Frühstückstisch saß ein eigenartig gekleideter, beleibter Mann, einen breiten Hut mit langer bunter Feder auf dem Kopf. Neben ihm stand ein Zwerg. Ein Zwerg in schreiend bunter Kleidung, aber mit tiefschwarzer Haut. Im gleichen Moment, als Zamorra den verwachsenen Gnom mit seinem ausgeprägten Buckel sah, wußte er, daß der es war, mit dem er zusammenstieß und der Nicole und ihn in dem kleinen Zimmer einschloß, in welches er geflüchtet war.
Sie waren also zu zweit!
Schlagartig begriff Zamorra, was die Peters-Zwillinge empfunden hatten. Der Eindruck, es mit zwei Wesen zu tun zu haben, stimmte. Aber deshalb das teilweise Verschwimmen der Bewußtseinsaustrahlungen?
Zamorras Überlegungen nahmen nur ein paar Sekundenbruchteile in Anspruch.
Aus den Augenwinkeln sah er, daß Nicole schräg hinter ihm im ersten Reflex versuchte, ihre Blößen mit den Händen zu bedecken, es dann aber wieder aufgab, weil es einfach sinnlos und überflüssig war - sowohl der Dicke am Tisch als auch der Gnom hatten Nicole bereits in ihrer vollen unverhüllten Pracht gesehen.
»Solche Mode trug man am Hof des
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