0459 - Reklame für den toten Boß
der Reihe nach. Die Hafenpolizei hat heute morgen einen Mann aus dem Teich gefischt, der Richtung Atlantik paddelte. Es handelt sich um einen, der sein Gedächtnis verloren hat. Noch wissen wir nicht, ob er nur mimt oder ob es den Tatsachen entspricht. Man hat mich als Psychiater angefordert. Ich habe den Mann untersucht und nehme an, er weiß tatsächlich weder seinen Namen noch seinen Wohnort. Solche Fälle kommen vor und können die verschiedensten Ursachen haben. Hier ist es offenbar akuter Gedächtnisschwund, der wiederum seine verschiedenen Ursachen haben kann.«
»Sehr interessant«, unterbrach ihn Phil ungeduldig, »aber wollen Sie mir nicht endlich sagen, wen die Hafenpolizei aus dem Teich gefischt hat?«
»Natürlich, G-man, es war ein Glück, daß ihr noch in der Nacht eine Kopie von ihm herübergeschickt habt. Ich glaube, auch einige Zeitungen haben noch die Vermißtenanzeige mit Bild veröffentlichen können.«
»William Shunkers?« fragte Phil überrascht.
»Allerdings — Lieutenant O’Hara hat Mr. Shunkers aus dem East River gefischt — heute morgen um sieben. Der Mann macht aber keineswegs einen abgekämpften Eindruck.«
»Können wir Shunkers besuchen?« fragte Phil.
»Allerdings«, antwortete Bloom, »nur halte ich es für zu früh, ihn irgendwelchen Belastungen auszusetzen. Ich bin bis Mittag im Headquarter.«
»Okay, Mr. Bloom«, sagte Phil, »wir werden Sie besuchen.«
Mein Freund nahm sich nicht die Zeit, den Hörer auf die Gabel zu werfen, sondern drückte sie mit dem Finger herunter, rief die Zentrale und ließ sich von ihr mit meinem Anschluß verbinden.
Das Telefon riß mich aus dem Schlaf. Ich tastete nach links und vermißte meinen Apparat. Erst nach dreißig Sekunden kam mir die Erinnerung, daß ich nicht Jerry Cotton war, sondern der Beach-Erbe Harry Duckles. Ich rappelte mich auf, setzte die Füße auf den kalten Boden und gewann die Übersicht.
Durch die Fenstervorhänge sickerte das dämmrige Tageslicht.
Ich trabte zum Telefon, das auf dem schmalen Schreibtisch unterm Fenster stand und nahm den Hörer ans Ohr. »Duckles«, sagte ich und gähnte. »Kennwort Myrna«, hörte ich Phils Stimme, »gut geschlafen, Jerry?«
»Hallo, Myrna«, antwortete ich, »scheint schon ziemlich spät zu sein.«
»Hier spricht Phil und nicht Myrna«, entgegnete mein Freund, »als Millionär hast du das Recht, so lange zu schlafen, wie du willst. Aber es gibt eine Neuigkeit, die dir vollends den Schlaf aus den Augen treiben wird, mein Guter. William Shunkers ist gefunden worden.«
»Tot?«
»Nein, aus dem East River gefischt. Er muß das Gedächtnis verloren haben. O’Hara hat ihn an Bord gezogen.«
»Es ist doch hoffentlich noch nichts an die Öffentlichkeit gedrungen?« fragte ich.
»Nein, aber…«
»Die Gangster dürfen nicht erfahren, daß wir Shunkers aus dem Teich gefischt haben. Wir müssen sie in dem Glauben lassen, daß Shunkers verschwunden sei. Aus diesem Grund muß auch die übrige Presse Shunkers Bild in der Vermißtenspalte bringen.«
»Okay, Jerry, ich setze mich in Marsch. Wir treffen uns bei der Vermißtenpolizei.«
»Noch eins, Phil, ich brauche jetzt einen, der den Frühstückstisch deckt und die frischen Brötchen an Land zieht. Hast du es dir überlegt? Willst du die Butlerstelle einnehmen?«
»Ich habe dir gestern schon gesagt, daß ich auf solchen Job keinen Wert lege.«
»Na, es gäbe noch mehr zu tun. Heute morgen hat man bereits versucht, mir einen Denkzettel zu verpassen.«
Ich schilderte meinem Freund den Empfang in der Auffahrt.
»Wenn das so ist, bin ich gern dabei. Ich werde mit Mr. High reden.«
»Vielleicht setzt er auch das Geld für eine Butleruniform dran«, sagte ich und hängte ein.
Nicht länger als eben möglich wollte ich mich in diesem kalten Prachtbau aufhalten. Nachdem ich mich rasiert und geduscht hatte, schlüpfte ich in einen dunklen Anzug.
Bevor ich das Haus verließ, prüfte ich die Tür am Vorderportal. Sie war verschlossen. Ich legte noch einen Riegel vor und verließ durch den Dienstboteneingang das Haus. Über die Auffahrt erreichte ich die Straße.
Es dauerte einige Minuten, ehe ich an einer belebten Ecke ein Taxi auftrieb und mich hineinwarf. Als Ziel nannte ich die Little Italy. Diese Straße lag in der Nähe der Center Street, wo das Police Headquarter sich befindet.
Zwischendurch ließ ich an einem Zeitungskiosk stoppen und . besorgte mir einige von den Zeitungen, die nicht vor sechs Uhr morgens andrucken. Sie hatten
Weitere Kostenlose Bücher