046 - Xendarro, der Vampir
Manchmal sechsmal in der Woche, und fast immer war seine Begleiterin eine andere. Nur die, an denen er besonderen Gefallen fand, brachte er öfter als einmal in sein Liebesnest mit.
Diskretion war für Juan Guevara Ehrensache, und von nun an würde er überhaupt über die Vorgänge in der Villa schweigen wie ein Grab, denn er hatte letzte Nacht Besuch von Xendarro, dem Vampir, gehabt, und nun war er selbst ein Blutsauger, ein Untoter, der nach dem roten Lebenssaft der Menschen gierte.
Eben erst war Guevara erwacht, und schon spürte er ein schmerzhaftes Ziehen in seinem Bauch. Hunger! Er hatte Hunger! Und Durst! Aber er konnte sich nicht mit den teuren Köstlichkeiten sättigen, die sich im Kühlschrank befanden, und sein Durst konnte nicht einmal mit dem exquisitesten Champagner gelöscht werden.
Hunger und Durst waren nur mit einem wirksam zu bekämpfen: mit dem Blut eines Menschen!
Langsam richtete sich Juan Guevara auf. Er hatte ein schmales, bleiches Gesicht, und seine Augen waren jetzt so blutunterlaufen wie die von Xendarro, dem er zum Opfer fiel.
Die Dunkelheit tat seiner schwarzen Seele gut. Er leckte sich über die spröden Lippen, wobei seine Zunge gegen die langen spitzen Eckzähne stieß.
Benommen blickte er sich um, und er hatte Mühe, sich an die gestrige Nacht zu erinnern, an den Besuch Xendarros.
Noch nie hatte er diesen Namen gehört, und doch wußte er nun, daß der Blutsauger, dem er sein schwarzes Leben verdankte, so hieß. Der Name war in ihm, seit der Vampirkeim in ihm aufgegangen war.
Wenn er sich recht entsann, war er zu Bett gegangen und hatte noch in einem Buch über schwarze Messen und okkulte Dinge gelesen. Er interessierte sich nicht sonderlich dafür, aber dieses Buch stand schon so lange im Regal, daß er endlich einmal danach griff.
Grausige Opferszenen und widerwärtige Rituale wurden darin beschrieben. Es wurde in allen Details geschildert, welche Handlungen beim Zelebrieren von Satansmessen gesetzt und welche Worte dabei gesprochen werden mußten.
Juan Guevara war von dem Buch nicht fasziniert, eher abgestoßen, da es aber sachlich und korrekt geschrieben war, wollte er es zu Ende lesen.
Irgendwann hatte er dann dieses Geräusch vernommen. Jemand schien Steinchen gegen sein Fenster geworfen zu haben, und einen Moment später prasselten schon wieder Steinchen gegen das Glas.
Guevara stand auf. Er nahm an, daß sich der Besitzer der Villa auf diese Weise bemerkbar machen wollte. Manchmal fielen Paco Santana die verrücktesten Dinge ein, und man mußte auch zu jeder Tages- und Nachtzeit mit seinem Eintreffen rechnen.
Er erschien nach Lust und Laune – oder wie schnell ihm eben ein Fisch – sprich: Mädchen – ins Netz ging. Hin und wieder dauerte es bis zum Morgengrauen, bis er sein neues Opfer soweit hatte.
Guevara öffnete das Fenster und blickte in die vollmondhelle Nacht, aber er sah niemand. Auch das konnte zu Santanas Spiel gehören. Manchmal war er schlimmer als ein Kind, vor allem dann, wenn er vor einer neuen »Braut« besonders lustig sein wollte.
Deshalb zog Juan Guevara seinen Schlafrock an und begab sich nach unten, denn es gehörte mit zu seinen Aufgaben, bei jedem Spiel, selbst wenn es noch so verrückt war, mitzumachen.
Er öffnete die Tür und trat in die milde, stille Nacht hinaus. »Señor Santana? Sind Sie das, Señor Santana?«
Er ging einige Schritte nach vorn und ließ den Blick durch die Nacht schweifen. Dann aber kam ihm ein Verdacht, der es ihm angeraten erscheinen ließ, umzukehren und sich einzuschließen.
Die Villa stand abseits vom Dorf und konnte Ziel von Einbrechern und Dieben sein, die ihn, den Verwalter, auf diese simple Weise herausgelockt hatten.
Paco Santana hatte Geld wie Heu, und er kaufte laufend neue wertvolle Kunstschätze. Man hätte seine Villa beinahe schon als Museum bezeichnen können, aber wenn Guevara über umfassende Sicherheitsmaßnahmen sprach, die schon lange nötig gewesen wären, stieß er auf taube Ohren.
Santana war zu vertrauensselig, er glaubte nicht, daß jemand ihn zu bestehlen versuchen würde. Außerdem hatte er ja einen zuverlässigen Verwalter, der auf die Kunstschätze aufpaßte, und dem Verwalter standen mehrere Gewehre zur Verfügung…
Die Gewehre!
Guevara wollte ins Haus eilen und sich eines holen, doch als er sich umdrehte, prallte er zurück, denn vor ihm stand ein blasser Mann, der ihn mit einer merkwürdigen, furchterregenden Gier anstarrte.
Juan Guevara wollte den Unheimlichen, den er
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