0464 - Gemälde des Grauens
mußte tatsächlich ein bewegtes Innenleben besessen haben.
Alles war eigentlich normal, bis wir das letzte Bild in der Reihe sahen. Wir blieben davor stehen und konnten nur mehr staunen, denn ein Bild sahen wir nicht mehr.
Nur noch den Rahmen, der in einem matten Goldton schimmerte.
Das Motiv selbst war nicht mehr vorhanden…
***
»War es das?« fragte Suko mich nach einer Weile.
Ich nickte. »Das müßte es gewesen sein.«
»Und was?«
»Vielleicht das Motiv. Oder die Auflösung, was weiß ich denn?«
Suko nickte. »Sauber«, murmelte er. »Verdammt sauber abgetrennt. Kein Fetzen Leinwand klemmt mehr an der Innenseite. Wer immer das Motiv gestohlen hat, er war ein Könner seines Fachs.«
»Motiv ist gut«, sagte ich. »Mich würde interessieren, was das Bild gezeigt hat?«
»Keine Ahnung.«
Ich schnickte mit den Fingern. »Es muß aber Prospekte geben. Die liegen bei jeder Ausstellung bereit. Ich weiß auch, wo ich sie gesehen habe. Im ersten Raum auf einer der Fensterbänke.«
»Dann nichts wie hin.«
Diesmal liefen wir den Weg schneller zurück. Wie starre, blasse Arme glitten die Strahlen der Lampen durch die Finsternis und tasteten sich auch über die Fensterbänke.
Auf der letzten und direkt im Winkel sahen wir den Stapel liegen.
Geschätzt waren es ungefähr zehn Prospekte, die übereinander lagen. Sie waren nicht größer als ein normales Magazin. Suko und ich nahmen jeweils einen Katalog in die Hand und blätterten ihn durch. Mein Freund fing von hinten an, ich von vorn.
»John, da ist es. Ich erkenne es am Rahmen.« Die Stimme meines Freundes klang. Er legte den aufgeschlagenen Katalog auf die Fensterbank und leuchtete ihn an.
Beide schauten wir.
Und beide wurden wir blaß!
Das Bild, das aus dem Rahmen verschwunden war, zeigte die vier klassischen Monstergestalten der Gruselgeschichte.
Vampir, Werwolf, Mumie und Frankensteins Monster!
»Ich glaube«, sagte ich leise, »da kommt einiges auf uns zu.«
»Ja, es wird eine heiße Nacht werden…«
***
Jane Collins lächelte die Horror-Oma an und sagte: »Weißt du eigentlich, wie du mir vorkommst?«
»Nein.«
»Wie jemand, der Hummeln im Hintern hat.«
»Wie kannst du so etwas sagen!« entrüstete sich die Horror-Oma, mußte aber gleichzeitig lachen und fügte hinzu: »Ehrlich gesagt, ich fühle mich auch so ähnlich.«
»So aufgeregt?«
»Ja.«
»Wieso?«
»Ich kann es dir auch nicht sagen. Irgendwie habe ich das Gefühl, als dürften wir uns hier keine Minute mehr länger aufhalten. Sonst werden wir etwas verpassen.«
»Was denn?«
»Keine Ahnung.«
Jane hob ihre Tasse an und trank sie leer. »Was willst du dort? Die Ausstellung ist geschlossen.«
»Mir geht eben das letzte Bild nicht aus dem Kopf. Es ist schlimm, Jane, aber eine Tatsache. Ich muß ständig daran denken. Für mich hat es eine Bedrohung dargestellt, und du wirst mir da recht geben: Du hast es ja selbst gespürt.«
»Damit war schon etwas.«
»Und das müssen wir herausfinden.«
Jane lächelte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Es ist wirklich ein Kreuz, mit dir unterwegs zu sein. Da wird jede kleinste Fahrt zu einem Abenteuer.«
»Das habe ich so an mir.«
Die Frauen saßen in einem kleinen Café. Die Einrichtung war sicherlich schon einige Jahrzehnte alt. Man hatte die Tische und Stühle noch aus massivem Holz gefertigt.
Die Bedienung kam Lady Sarah altersmäßig fast gleich. Sie kannte auch jeden Gast und setzte sich zu den meisten an den Tisch, um einige Minuten zu plaudern.
Als Lady Sarah zahlen wollte, stand sie mit mürrischem Gesicht auf, weil die Horror-Oma ihren Tratsch unterbrochen hatte. Die Frau kassierte und bedankte sich nicht einmal für das Trinkgeld.
»Die haben es eben nicht nötig«, sagte Jane.
»Scheint mir auch so.«
Die Mäntel hingen in Reichweite. Jane half Lady Sarah hinein und legte ihren nur über die Schulter. Als sie das Café verließen, war es dunkel geworden.
Die einsam stehenden Straßenlaternen waren im unteren Bereich nicht zu sehen. Ihre Lampen sahen aus wie weißgelbe Monde, die an den Rändern zerfaserten.
»Wir hätten doch früher losfahren sollen«, beschwerte sich die Horror-Oma.
Jane winkte ab. »Den Weg finden wir immer.«
»Hoffentlich.«
Die Detektivin saß hinter dem Lenkrad. Ein paarmal ließ sie die Wischer laufen, um die Scheibe von der Feuchtigkeit zu befreien.
Dann erst startete sie.
Der Honda tauchte hinein in die nebelerfüllte Dunkelheit wie in einen Tunnel. Um diese Zeit wollte
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