0471 - Im Wartesaal des Todes
Komplicen.
»Los, Boys, es gibt noch Arbeit«, knurrte er.
***
Das Highland ist ein kleines Stück England im Herzen des unenglischsten Platzes auf der Welt, in der Bronx.
Mylady — niemand kannte ihren wirklichen Namen, stand an ihrem Arbeitsplatz. Mylady war nicht vollschlank oder korpulent, sie war schlicht und einfach dick. Ihr Gesicht war aufgedunsen, die langen goldenen Ohrringe mochten zwar echt sein, aber sie konnten den wenig vorteilhaften Eindruck, den Mylady machte, nicht aufbessern.
Ich bestellte einen doppelten Scotch und fixierte Mylady so lange, bis sie sich in meine Nähe schob. Dann griff ich in die Tasche und hielt ihr die blaugolden schimmernde FBI-Marke hin.
»Dies hier ist ein anständiger Laden«, klärte mich Mylady mit gutturaler Stimme auf und stemmte die Arme in die Hüften. Ich wurde daran erinnert, daß es hieß, Mylady fungiere in ihrem Lokal auch' als Rausschmeißer. Ich hielt das nicht für ein Gerücht.
Ich setzte mein Sonntagslächeln auf. »Ich hätte gern einmal Ray Emmerson gesprochen, weil ich mit ihm reden will, bevor wir ihm eine Vorladung schicken.«
Myladys Stimmungsbarometer bekam durch mein Lächeln einen beträchtlichen Aufschwung. Sie präsentierte mir strahlend ihr erstklassiges Gebiß, das jeden Löwen vor Neid hätte erblassen laßen.
»Ich schaue mal nach, ob Ray Interviews gibt«, versprach sie mir und brachte es tatsächlich fertig, ihren Körper durch einen Türrahmen zu zwängen. Wirklich erstaunlich, diese Dame!
Nur zwei Minuten wartete ich auf Ray Emmerson. Dann kam er herangestürzt. Sein Laden konnte keine Schwierigkeiten mit dem FBI vertragen. Das wußte er genau.
Wir stellten uns vor, und Ray führte mich zu einer Nische.
»Womit kann ich dem FBI dienen?« fragte er kriecherisch.
»Ich suche Mickey Derridge.«
Emmerson schluckte einen Augenblick und schien plötzlich ein Haar in der Speiseröhre zu haben.
»Er ist nicht mehr hier. Hat heute schon seinen Drink genommen«, flüsterte Emmerson.
»Wo wohnt er?«
»Weiß ich nicht.«
»Schade, Emmerson. Es ist nämlich nicht gut, wenn ich glaube, daß Sie die Arbeit des FBI behindern. Sie kennen Derridge schon so lange, daß Sie wissen müßten, wo ich ihn erreichen kann.«
Emmerson zögerte einen Augenblick lang. Er suchte offenbar nach einem Ausweg. »Wenn Sie mich nach einer Freundin von Mickey fragen würden, Mr. Cotton, dann könnte ich Ihnen sagen, daß sich Mickey häufig bei ihr aufhält. Aber es soll nicht so aussehen, als hätte ich Ihnen das verraten.«
»Wie heißt die Dame?«
»Leila Reynolds. Sie tritt im Diamond-Club auf. Er liegt wenige Schritte von der Ecke Lennox Avenue und der 122. Straße.«
***
Ich hatte kaum meine Wohnungstür erreicht, als ich auch schon das schrille Klingeln des Telefons hörte. Allmählich war mein Maß für heute wirklich voll.
»Cotton«, meldete ich mich mit einer Stimme, die jeden sensiblen Menschen sofort zum Auflegen veranlaßt hätte.
»Hier ist Tiller«, klang es mir aus dem Hörer entgegen. Augenscheinlich hielten mich die Leute neuerdings für eine Sorgentante, zu der sie mit dem kleinsten Anliegen kommen konnten.
»Und?« schnappte ich zurück.
»Cotton, ich habe in meiner Wohnung Manuskriptteile von Harry Mintons letztem Stück gefunden«, keuchte die Stimme im Hörer.
»Wo wohnen Sie?« fragte ich schnell und war mit einem Male wieder hellwach.
»New Rochelle, 23. Peterson Street«, kam es zurück.
»Okay«, sagte ich. »Ich komme sofort.«
»Gut, Cotton. Und passen Sie auf den Verkehr auf. Er ist sehr stark. Fahren Sie vorsichtig.« Es klickte in der Leitung, das Gespräch war mit einem Male unterbrochen.
Ich machte mich .sofort auf den Weg. Natürlich dachte ich daran, daß mich eben noch die Sekretärin von Harry Minton aus der Wohnung gelockt hatte, aber was spielte das jetzt für eine Rolle? Ich konnte Tiller nicht auf den Manuskripten sitzenlassen, weil mir zufällig jemand ans Leder wollte.
»Passen Sie auf den Verkehr auf. Er ist sehr stark. Fahren Sie vorsichtig.« Die letzten Worte Tillers klangen noch in meinem Ohr. Irgendwie fand ich sie merkwürdig. Ich wußte nur noch nicht, warum. Das war mein Fehler…
***
Phil lag auf der Couch in seiner Junggesellenwohnung und blinzelte verschlafen zu einer Sammy-Davis-Show auf dem Bildschirm. Als die Klingel ihn abrupt aus seinen Betrachtungen riß, war er keineswegs erfreut. Mißmutig schlurfte er zur Tür. Um so verwunderter war er, als er sie geöffnet hatte.
Susan
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