0472 - Monsterrache
werde sie nicht mehr freilassen. Aber erst muß ich mich um dich kümmern.«
»Ich wollte mich ebenfalls mit dir beschäftigen, Schamane. Zeige dich. Aber schnell…«
Ich hörte ein Lachen, das wie Glockenklänge in meinem Gehirn widerhallte. »Wenn ich etwas hasse, sind es Aufforderungen von Menschen. Möglicherweise bin ich längst in deiner Nähe. Nur siehst du mich noch nicht. Ihr Menschen habt Augen, um zu sehen, manchmal aber sind sie verschlossen. Ich war schon bei euch, als ihr mit dem Kapitän gesprochen habt. Gib acht, ich komme. Er hat den Fluch gelöscht, ich bin frei, und du wirst mich sehen können.«
Zwar besaß ich am Rücken keine Augen, aber Suko hatte sich so gedreht, daß er die Wasserfläche hinter mir beobachten konnte. Da von ihm keine Warnung erklungen war, konnte ich mich beruhigt auf das Gebiet unter mir konzentrieren.
An Deck sah ich die Bewegung. Ein dunkler Punkt oder Gegenstand schwebte darüber hinweg und schoß plötzlich in die Höhe.
Kein Skelett, eine Mumie!
Ich erinnerte mich wieder an die Erzählungen des Kapitäns. Er hatte ebenfalls von einer Mumie gesprochen.
Jetzt sah ich sie, und sie bewegte sich auf mich zu.
Ich hatte die Harpune!
Noch ließ ich sie näher herankommen. Bisher hatte ich die Waffe noch nicht einzusetzen brauchen, das sollte sich ändern, ich mußte nur die nötige Distanz haben, um eine Trefferquote garantieren zu können.
Die Mumie schwebte auf mich zu, als würde sie von unsichtbaren Händen geleitet.
Ich schaute sehr genau hin und konnte bereits ihr Gesicht erkennen. Es war widerlich. Mir kam es vor wie ein eingeschrumpfter Apfel. Die Haut bestand einzig und allein aus einem Netz von Falten, heller als die dunkle Haut, in der allerdings grüne Augen auffielen.
Die Arme lagen dicht am Körper. Sie wurden ebensowenig bewegt wie die Beine.
Ein besseres Ziel hätte mir der Schamane einfach nicht bieten können. Noch einmal nahm ich Maß.
Dann drückte ich ab.
Der Pfeil durchschnitt das Wasser. Er wäre schräg in den Körper hineingefahren, aber der befand sich plötzlich nicht mehr da. Nichts war dort, er hatte sich aufgelöst, und mein abgeschossener Pfeil zischte ins Leere.
Dafür hörte ich einen Schrei, der mir fast die Trommelfelle sprengte. Diesmal mußte ich herum und sah nicht nur Suko, auch den Schamanen. Er hatte sich verwandelt.
Aus der Mumie war ein gewaltiges Skelett geworden!
Und in seiner rechten Klaue zappelte Suko!
Im ersten Augenblick war mir dies nicht aufgefallen, ich hatte mich nur über die Haltung meines Freundes gewundert, sein Kopf wies nach unten - jetzt sah ich, daß er nicht anders konnte, denn der rechte Knöchel wurde von der Skelettfaust umklammert.
Und welch ein Monstrum!
Zweimal, dreimal so groß wie ein Mensch? Vielleicht vergleichbar mit dem Schwarzen Tod, einem meiner ersten gefährlichen Gegner, den ich ebenfalls nur als Skelett gekannt hatte?
Dieses hier war anders. Gelb wie Knochen, gleichzeitig von einem grünlichen Schein umgeben, der an den Gebeinen zu haften schien. Ein gewaltiger Schädel mit grünen Augen oder was immer diese Masse sein mochte, die in den Höhlen leuchtete.
Tang bedeckte Teile des Körpers und hing von den Schultern herab.
Ein widerliches Scheusal und dabei brandgefährlich. Mörderisch, stets bereit, zu töten.
Suko hatte es schon, die andere Hand schwebte im Wasser. Die Knochenfinger waren ausgebreitet, sie kamen mir vor wie, weiße abstehende Dolche, und das vor mir waagerecht schwebende Monstrum streckte in diesem Moment seinen Arm aus.
Die Hand näherte sich mir.
Es war wie auf dem Bildschirm oder der Kinoleinwand. Näher und näher kam sie, so daß sie sich vergrößerte und schließlich mein gesamtes Blickfeld einnahm.
Ein Alptraum.
Ebenso wie die Stimme, die ich kratzig in meinem Schädel hörte, und die mein gesamtes Denken einnahm.
»Aibon hat sich geöffnet, Aibon hat sich gezeigt, aber Aibon wird euch verschlingen…«
»Das hat man mir schon einmal gesagt«, erwiderte ich in Gedanken. »Ich wollte dir gegenübertreten, Schamane. Einmal Mumie, einmal Skelett, du verteilst das Grauen. Aber glaube nur nicht, daß ich Furcht empfinde. Wir werden es ausfechten.«
Ich hatte bei diesen Worten nur meine Arme bewegt und die Kette mit dem Kreuz über den Kopf gestreift. Zum Glück war die Kette lang und breit genug, so daß sie auch an den Luftschläuchen vorbeistrich.
Sehr nahe war die Hand gekommen. Das Skelett konzentrierte sich auf mich, Suko glaubte es
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