0474 - Der Hexenstein
in die Schlucht zu werfen, durch die ein Wildbach mit elementarer Wucht schoß. Es war noch nicht das eigentliche Tal, aber jetzt kam es mir vor, als wollte Heinz Stahlmenger landen.
Ich ließ mir noch Zeit mit der Frage und stellte sie erst, als wir den Ausgang der Schlucht erreicht hatten, noch in der Luft schwangen, um dann tiefer zu gehen.
»Sind wir schon…«
Heinz ließ mich nicht aussprechen. »Nein, noch nicht, John. Ich wollte Ihnen zuvor den Hexenstein zeigen. Wir brauchen nicht weit zu laufen.«
»Okay.«
Schnee wirbelte hoch, wurde zu einem kreisenden Nebel, der unsere Sicht bei der Landung stark behinderte. Stahlmenger setzte trotzdem sicher auf.
Ich hatte meine gefütterte Mütze auf den Kopf gedrückt und stieg gleichzeitig mit dem Piloten aus.
Sein linker Arm, den er ausstreckte, wies nicht auf den Schluchteingang, er zeigte in die entgegengesetzte Richtung, wo ein kleines Haus unter den Schneemassen begraben lag.
»In diesem Gasthaus ist es passiert. Da hat man die Toten gefunden. Das heißt, der Junge lag im Gastraum, das Mädchen vor der Tür im Schnee.«
»Sollen wir dort noch hin?«
»Nein, wieso? Spuren werden wir da nicht finden.« Stahlmenger ging schon vor. »Kommen Sie, wir sehen uns den Hexenstein an, der sehr wichtig werden wird, habe ich das Gefühl.«
Ich nutzte die Spuren, die Fahrzeuge aus Kandersteg hinterlassen hatten. Da konnte ich besser gehen. Vor mir schritt Heinz Stahlmenger her. Auch er rutschte einige Male, fiel aber nicht hin.
Der Weg führte bergab. Erst jetzt sah ich, wie düster die Schlucht war. Düster, unheimlich und eng.
Die hohen Wände warfen einen beklemmenden Schatten, außerdem war es saukalt.
Auf den Vorsprüngen, Felsnasen und Kanten lag der dicke Schnee. Eiszapfen, oft meterlang, hingen an den Felsen wie Speere und Lanzen aus Glas.
Der Weg war sehr kurvenreich und manchmal leider sehr eng. Zum Glück gab es die Spuren, an die wir uns halten konnten. Es war oftmals nicht zu erkennen, wo der Wegrand endete und der steile Abhang begann.
Heinz Stahlmenger drehte sich um. »Sie werden gleich eine alte Steinbrücke sehen, John, und noch vor der Brücke befindet sich der Hexenstein im Wasser.«
»Gut.«
Allmählich wurde mir das Gesicht kalt. Ich rieb des öfteren meine Nase, damit sie mir nicht einfror, während die Ohren glücklicherweise gut geschützt waren.
Heinz Stahlmenger hatte es gesehen. »Keine Sorge, John, allzu weit ist es nicht mehr.«
Ich sah bereits die Steinbrücke. Sie war viaduktähnlich angelegt worden. Unter ihr toste der Gletscherbach.
Das Wasser besaß Gewalt und Kraft. Blaugrün sah es aus. Manchmal, an dunklen Stellen, wirkte es grau, dann wieder schaumgekränzt und fast so weiß wie Schnee.
Heinz Stahlmenger ging jetzt schneller. Noch vor der Brücke blieb er stehen, drehte mir sein Profil zu und streckte den Arm aus, so daß der Zeigefinger auf den Gegenstand wies, der für uns so interessant geworden war.
Der Hexenstein!
»Da liegt er nun«, sagte der Deutsche. Vor seinen Lippen dampfte der Atem.
Ich schaute mir das Relikt an. Ein normaler Stein, wenn auch aussehend, als wäre er von menschlichen Händen bearbeitet worden, weil Ecken dieser Art die Natur einfach nicht formte.
Der Stein stand schräg in den Fluten. Wir konnten direkt auf seine Platte schauen, worauf zahlreiche kleine Steine lagen, die Wanderer geschleudert hatten, damit ihnen die Hexe freien Zutritt zum Gasterntal gewährte.
»Nun?«
Ich hatte Stahlmengers Frage gehört, wollte noch Erkundigungen einziehen, als ich plötzlich ein bekanntes Brennen auf der Brust spürte. Mein Kreuz »meldete« sich.
Ich trat einen Schritt zurück. Dabei mußte mein Gesicht seinen Ausdruck verändert haben, und das war auch Stahlmenger aufgefallen, denn er fragte: »Haben Sie etwas, John?«
»Kann sein. Sie erinnern sich an mein Kreuz?«
»Klar.«
»Es meldet sich. Das Metall hat sich tatsächlich erwärmt.« Ich schüttelte darüber den Kopf.
»Und was bedeutet das?«
»Ganz einfach, Heinz. In dieser unmittelbaren Umgebung lauert eine starke schwarzmagische Kraft. Sie strahlt aus und hat dabei auch mein Kreuz getroffen, das sich natürlich gegen diesen Einfluß wehrt und mich gleichzeitig warnt.«
»Was sollen wir tun?«
Ich winkte nach der Frage ab, ging wieder vor und sah mir den Hexenstein an. Das Wasser jagte über ihn hinweg wie eine Schicht aus Glas. Im Sommer lag er sicherlich frei, jetzt führte der Wildbach sehr viel Wasser, so daß auch der Stein
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