0474 - Der Hexenstein
in Mitleidenschaft gezogen worden war.
Wir brauchten nichts zu tun, denn der Stein reagierte von allein. Er blieb zwar äußerlich der gleiche, aber in seinem Innern tat sich etwas. Das Gefüge veränderte sich. Mir kam es vor, als würde es sich zusammenziehen und sich auf einen bestimmten Punkt in der Flächenmitte konzentrieren.
Auch Heinz Stahlmenger hatte dies bemerkt. Er stieß mich an. »Verdammt, John, da ist was!«
»Glaube ich auch.« Im nächsten Augenblick hatte ich mein Kreuz hervorgeholt und ließ es an der Silberkette über dem Wasser pendeln. Es schwang vor und zurück, und es strahlte seine Magie ab, die auch den Stein traf.
Dessen Innenleben ging weiter. Wir sahen auf einmal die Umrisse im Gefüge, die noch nicht zur Ruhe gekommen waren, aufeinander zuglitten und sich zu einem Gesicht formten.
Das Gesicht einer Frau - einer Hexe!
Uralt, böse, abweisend und fratzenhaft. So illustrierten die Zeichner der Märchenbücher die Hexen.
Noch steckte kein Leben in dem Gesicht. Es sah nach wie vor aus, als wären die Umrisse von einem Meißel in das Gestein gehauen worden.
Neben mir atmete Heinz Stahlmenger schwer ein und aus. »Das ist es, John!« hauchte er. »Verdammt, das ist die Verbindung zwischen Zombie und Hexe. Wir haben sie.«
»Ich glaube auch.«
Stahlmenger blickte sich um. »Aber wo steckt dieser verfluchte Untote jetzt?«
Ich konnte ihm keine Antwort geben, weil ich mich zu stark auf das Gesicht der Gasternhexe konzentrierte. Sie bewegte ihren Mund, klappte ihn auf uns zu, verzog die Lippen. Zum erstenmal las ich aus den Zügen ein gewisses Gefühl.
Es war der Haß auf die Menschen, die ihr nicht nahestanden. Sie haßte, sie wollte vernichten, aber sie konnte nicht, weil sie eingeschlossen war.
»Wir müssen den Stein zerstören«, sagte Heinz. »John, das sind wir uns schuldig.«
»Klar, das müssen wir. Fragt sich nur, wie wir das anstellen sollen. Können Sie in das Wasser steigen…?«
»Nein.«
»Ich will auch nicht das Kreuz werfen.«
»Schießen Sie doch eine Silberkugel ab.«
Die Idee war gut. Ich holte die Beretta hervor, zielte und feuerte. Die Detonation wurde vom Rauschen des Wildbachs übertönt. Die Kugel traf natürlich, aber sie richtete auf dem Gesicht keinen Schaden an. Als deformierter Querschläger jagte sie davon. Mehr hatte ich nicht erreicht.
Das Gesicht behielt seinen Ausdruck bei. Stahlmenger hatte sich vorgebeugt und schaute über den Rand des Abgrunds hinweg. Sein Gesicht zeigte gleichzeitig Staunen und eine innere Abwehr, als könnte er das alles nicht fassen. Er schüttelte auch den Kopf und flüsterte: »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie stark diese Hexe ist. Für mich ist der Stein und seine Magie stärker als ein Zombie. Den kann man schließlich mit geweihten Silberkugeln töten, nicht wahr?«
»So ist es.«
»Aber die Hexe, wir…«
»Lassen wir den Stein vorerst in Ruhe«, erklärte ich. »Er ist momentan nicht wichtig. Sie haben mir von der Gasternbibel berichtet. Den Zombie haben wir noch nicht zu Gesicht bekommen. Meiner Ansicht nach befindet er sich auf dem Weg ins Tal und sucht das Buch.«
Heinz Stahlmenger wischte sich über das Gesicht. »Ja, das ist mit dem Hubschrauber ein Katzensprung.«
»Dann lassen Sie uns fliegen. Die Hexe ist gefangen. Sie wird es auch bleiben. Vorausgesetzt, wir sind schneller als dieser Zombie.«
Da uns die Zeit im Nacken saß, beeilten wir uns auf dem Rückweg. Der Kreislauf wurde gefordert, trotzdem blieb uns die Kälte in den Gliedern stecken.
Am Ausgang der Schlucht schauten wir in die leere Talebene hinein, wo nur das verschneite Gasthaus und der abgestellte Hubschrauber besonders auffielen.
Heinz Stahlmenger beeilte sich mit dem Einstieg. Auch ich warf mich auf den Sitz und schaute zu, wie der Deutsche die Startvorbereitungen traf. Wenig später stoben wir aus einer Wolke von Schnee in die Höhe und stiegen dem blauen Himmel entgegen, wo die Sonne allmählich tiefer gesunken war und ihre Strahlen die Schlucht nicht mehr erreichten.
»Sie können ja mal Ausschau nach dem Zombie halten!« rief mir Stahlmenger zu.
»Das mache ich!«
Heinz Stahlmenger ließ die Maschine absacken, ein wenig zu schnell für mich, denn mein Magen näherte sich ungeahnten Höhen. Ich wurde etwas blaß, sah das verzeihende Grinsen auf dem Gesicht des Piloten und drohte scherzhaft mit dem Zeigefinger.
Unter uns »floß« die Landschaft hinweg.
Freie, schnee- und eisbedeckte Flächen wechselten sich ab mit
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