0474 - Metro-Phantome
beleidigen?«
»Nichts liegt mir ferner, aber ich will auch wenigstens teilweise nüchtern bleiben.« Zu seinem eigenen Erstaunen merkte er kaum eine Wirkung. Er erinnerte sich an frühere Wiedersehensfeiern mit Saranow und auch an die Berichte anderer Rußlandreisender, die Wodka bis zur Oberkante Unterlippe getrunken haben wollten, ohne wirklich betrunken zu werden… scheinbar, folgerte Zamorra, hatte in Rußland getrunkener Wodka eine ganz andere Wirkung, als in anderen Ländern getrunkener Wodka. Oder das Export-Zeugs war übel gepanscht…
»Das Amulett«, überlegte Zamorra, »sei also wirkungslos…« Er dachte an seine Vision im Château Montagne und an die Vision Saranows und der anderen Moskowiter in der U-Bahn-Station. Sein Amulett hatte nicht darauf reagiert — und in Frankreich war diese Vision auch ungehindert durch die Abschirmung gekommen…
Wieder ein Steinchen mehr im Mosaik. Eine andere Welt, Veränderungen… war nicht auch das Stichwort »Entropie« gefallen? Sollten diese Visionen möglicherweise etwas mit Lucifuge Rofocales Warnung und Merlins Plan zu tun haben? Aber dazu paßte nicht, daß das Amulett andererseits die Skelette erfassen konnte, die doch laut Lucifuge Rofocale »Schatten einer anderen Welt«, waren. Genauer gesagt: »Schatten des Silbermondes«.
Und den gab es schon seit vielen Jahren nicht mehr.
Das System der Wunderwelten, zu dem der Silbermond gehörte, war damals vernichtet worden. Lediglich durch eine kombinierte Zeit- und Dimensionsreise ließ er sich noch erreichen, und dann auch nur, um auf ihm in einer Vergangenheit zu leben, die keine Zukunft besaß. Die Zerstörung war unabänderlich. Die MÄCHTIGEN hatten die Sonne des Systems entarten lassen, und durch die gelenkte Kollision der Wunderwelten mit jener Sonne war ihr Plan zunichte gemacht worden, aber auch das ganze System zerstört. Es gab den Silbermond nicht mehr. Wenn diese Skelette Schatten des Silbermonds sein sollten, dann waren sie Schatten einer lange zurückliegenden Vergangenheit.
Zamorra riß sich aus seinen Überlegungen. »Wir sind zum Arbeiten hier«, sagte er. »Träumen und Feiern können wir, wenn wir die Sache hinter uns gebracht haben. Also laß mal den Bildschirm glühen, Genosse Boris IIjitsch.«
»Hör auf, mich Genosse zu nennen«, brummte der Russe.
Jetzt nahm Zamorra den Inhalt der Textzeilen in sich auf. Er arbeitete mit Saranows Laptop; er zog einzelne Fakten heraus und speicherte sie getrennt. Aber dann kam wieder kein überschaubares System dabei heraus. Resignierend schaltete er das Gerät wieder ab. »Nichts Brauchbares… ein dermaßen unsystematisches, unlogisches Vorgehen gibt’s nicht mal bei Geistesgestörten…«
»… weil die ihre eigene, persönliche Logik beisetzen«, mahnte Nicole an.
Zamorra lächelte ihr zu. »Sicher, da hast du recht. War wohl nicht so ganz passend… aber trotzdem hilft uns das hier«, er deutete auf den Computer, »nicht weiter. Ich muß also nach wie vor auf Verdacht arbeiten. Schade… hatte mir mehr davon versprochen.«
»Was wirst du tun?« fragte Nicole.
»Ich hatte daran gedacht, daß einer von uns beiden sich als Köder anbietet, je nachdem, ob die Skelette Männer oder Frauen bevorzugen, ob sie nach Alter oder Schönheit gehen oder nach Parteibuch… aber wie es aussieht, übernehme jetzt ich diese Rolle.«
»Und wie?«
»Ich muß versuchen, mich magisch so aufzuladen, daß die Phantome kaum, noch jemanden neben mir wahrnehmen können.«
»Du weißt nichts über ihre Wahrnehmungsfähigkeit Brüderchen«, gab Saranow zu bedenken.
»Oh, da hat mir Lucifuge Rofocale sehr geholfen«, gab Zamorra zurück. »Schatten des Silbermondes… ich werde also entsprechende Magie benutzen. Einen Zauber, auf den zum Beispiel Silbermond-Druiden wie Gryf oder Teri auch ansprechen würden.«
»Dann sieh zu, daß sie sich nicht angesprochen fühlen und von irgendwoher per zeitlosem Sprung in deiner Falle landen!« warnte Nicole.
Zamorra winkte ab.
»Die zweite Sache ist: sie sind Skelette. So wie Leonardo deMontagnes Skelett-Krieger. Skelette sind die Überreste von Toten. Sie müssen also auf Lebens-Impulse besonders stark reagieren. Wenn ich diese meine Lebens-Impulse übersteuere, wenn ich meine Aura entsprechend auflade, bin ich wie eine Fackel in der Dunkelheit. Ein Fanal, das sie sehen. Ich will, daß die Aura anderer Menschen dagegen verblaßt. Das wird die Phantome zu mir ziehen.«
»Und wie willst du das machen? Lebens-Impulse
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