0475 - Meine Totenbraut
bleich, irgendwie unheimlich. Kein Monstrum, nein, eine menschliche Gestalt, ein Geist.
»Das ist sie!« hauchte Glenda, »das muß sie einfach sein. John, deine Totenbraut hat uns besucht…«
Ich stand auf dem Fleck wie festgenagelt. Zum erstenmal sah ich die unheimliche Besucherin. Obwohl sie eine menschliche Gestalt besaß, war sie für mich kein Mensch, ein Geist hatte sich Einlaß in die Wohnung verschafft.
Ich kannte Gespenster oder Geister, die sich nur in ihren Umrissen zeigten. Hier aber war es anders.
Zwar sahen wir die Umrisse der Frau, doch da stand jemand, der nicht aus Fleisch und Blut war und trotzdem fast so aussah.
Sie war ungemein bleich, jedoch nicht durchscheinend, denn wir konnten die Knochen hinter der dünnen Haut nicht erkennen. Das lange schwarze Haar fiel bis auf die Schultern und noch darüber hinweg, so daß die Spitzen den Rücken kitzeln mußten. Ein dünnes Kleid hing über ihrer Gestalt.
Der Stoff war so durchsichtig, daß wir alles erkennen konnten. Und im Gesicht fielen die pupillenlosen Augen auf. Dafür starrten wir auf zwei rote Punkte und auf einen ebenfalls roten Mund, der in der gleichen Farbe leuchtete.
»Halb Mensch, halb Geist, vielleicht auch ein Gespenst, so also sah meine Totenbraut aus.«
Auch Glenda hatte ihren ersten Schreck überwunden. »Sie muß doch reden können, John, sie hat am Telefon mit dir gesprochen. Frag sie, was sie gewollt hat.«
»Kennst du sie denn?«
Suko hatte gesprochen, und ich hob die Schultern. »Tut mir leid, ich sehe sie jetzt zum erstenmal.«
»Wie kann sie dann behaupten, deine Geliebte oder Braut gewesen zu sein?«
»Das frage ich mich auch.«
Ich brauchte nichts zu sagen, denn die Totenbraut hatte sich entschlossen zu reden. Als sie die ersten Worte sprach und dabei auch den Hörer auflegte - ein Freizeichen war nie ertönt -, vernahm ich am Klang ihrer Stimme, daß sie es genau war, die mich angerufen hatte.
»Ich habe dich gesucht!« wisperte sie.
»Warum?«
»Du mußt mit mir kommen.«
»Als dein Bräutigam?« fragte ich, und es klang nicht einmal Spott in meiner Stimme.
»Ja, als mein Bräutigam.«
Ich lachte leise. »Wie sollte ich je dein Bräutigam gewesen sein, wo ich dich nicht einmal kenne?«
»Du wirst dich erinnern.«
»Gut, dann sage mir deinen Namen.«
»Ich bin Margaretha.« Sie hatte den Satz so ausgesprochen, daß jeder sicher sein mußte, keine Lügnerin vor sich zu haben. Nur sie konnte reden und erklären, was sie wollte, ich kannte sie nicht und auch nicht ihren Namen.
»Hast du einmal eine Freundin namens Margaretha gehabt?« erkundigte sich Suko.
»Ich erinnere mich nicht, und eine Frau wie sie wäre mir in Erinnerung geblieben.«
»Ja«, stimmte Glenda zu. »Das meine ich auch.«
Margaretha stand da und wartete. »Du sollst zu mir kommen. Ich habe dich lange gesucht, Geliebter…«
»Und was soll ich tun?«
»Wir werden alles nachholen, was wir versäumt haben. Freue dich darauf. Ich will dich als deine Braut in die Arme schließen. Du bist es doch, ich weiß es, Hector. Du kannst dich nicht verstellen…«
Den letzten Satz hatte ich kaum noch mitbekommen. Ein Name nur hatte mich geschockt: Hector!
Ich kannte nur einen Mann mit dem Namen Hector, aber der war schon lange tot. Hector de Valois, ein großer Führer der Templerritter, so etwas wie mein Vorgänger und auch Besitzer des Silberkreuzes, das ich jetzt trug.
Er war praktisch in mir wiedergeboren worden, hatte die Reinkarnation erlebt und allmählich begriff ich die Zusammenhänge. Margaretha mußte seine Braut gewesen sein, nicht meine. Sie hatte - aus welchen Gründen auch immer - überlebt, hatte mich gesucht und endlich gefunden. Ein geisterhaftes, wenn nicht teuflisches Spiel, in das ich hineingeraten war.
»Ich spüre dich«, sprach sie flüsternd weiter. »Du besitzt eine Aura, wie sie auch er besessen hat. Ich habe sie immer gesucht und endlich gefunden. Komm mit mir!«
»Wohin?«
»Auf das Schloß der Dufour, zum See, in die Täler, wir alle warten auf dich.«
»Dann heißt du Dufour?«
»Ja, Geliebter. Erinnerst du dich nicht?«
Mein Lächeln wurde zu einem etwas gequälten Grinsen. »Ja, möglich. Entschuldige, es ist eben lange her.«
»Ich weiß, aber die Zeit wird wiederkehren. Ich habe das Kloster deinetwegen verlassen, Hector, habe mich in Gefahr begeben, aber ich gab nie auf. Ich will dich zum Mann. Komm, ich warte! Das Schloß der Dufour, der See, die weiche Landschaft, der Fluß…!«
Beim letzten Wort
Weitere Kostenlose Bücher