0476 - Kalis tödlicher Spiegel
ich mich nicht auch frevelhaft ihr gegenüber benommen?«
»Das kann ich nicht beurteilen. Aber Kalis Freunde sind wir gerade nicht. Wieso auch? Sie ist schließlich die Totengöttin und nimmt auf Menschenleben keine Rücksicht.«
Bill wandte sich an Singal. »Da Sie Kali ja besser kennen, können Sie uns doch sicherlich sagen, wo wir uns hier befinden. Daß wir in Kalis Reich stecken, habe ich schon mitbekommen, ich meine aber, daß es sicherlich aufgegliedert ist. Das ist ihre Welt, so etwas will ich glauben, doch in welch einem Teil dieser Welt sind wir gelandet?«
Singal bekam einen fast schwärmerischen Ausdruck in die Augen. »Die Welt ist, sie zeigt Kalis Macht. Wir können überall sein. Jeder Platz ist ein Ort des Schreckens. Ein Hort der Toten, wo die Verdammten leben und ihre Seelen fremde Körper bekommen. Kali regiert. Ihr langer Arm streichelt uns.«
Bill strich über sein Haar. »Davon habe ich zwar nichts bemerkt, aber im Prinzip gebe ich dir recht, Meister. Auch ich säße lieber in einer Bar in Soho.«
Der Reporter bekam von den zwei Männern keine Zustimmung. Er ließ seinen Blick schweifen.
Sie waren nicht in einer leeren Dimension gelandet. Dämpfe schwängerten die Luft, machten sie grau und irgendwie auch dicht, aber die Männer konnten Einzelheiten erkennen.
Zum Beispiel die großen Steine, die wie Denkmäler vom Boden hochwuchsen. Unheimliche Gebilde, manche von ihnen waren schief, andere wuchsen gerade in den Dunst hinein. Sie bestanden aus einem dunklen Material, aber jeder Stein zeigte an einer Seite eine gewisse Kontur, die sich der Reporter genauer anschaute.
Er blieb dicht vor einem Stein stehen und erkannte tatsächlich ein Gesicht darin. Nur einen Kopf, aber er reichte aus, denn man hatte auch die Kette aus Schädeln so in das Material geschlagen, daß Kali zu erkennen war.
Der Reporter nickte und drehte sich wieder. »Kali!« flüsterte er, »wo man auch hinschaut, ich sehe nur sie. Jeder Stein zeigt ihr verdammtes Bild. Das gefällt mir nicht.«
»Du befindest dich in ihrer Welt«, wurde ihm gesagt.
»Ja, Singal. In ihrem Reich, ich weiß. Aber ich will auch hier wieder heraus, verstehst du?«
Über Singals Lippen zuckte es. »Das kann ich begreifen, nur wird es uns kaum gelingen. Es sei denn, sie gäbe die Erlaubnis, aber das liegt in ihrem Ermessen.«
Bill hob die Schultern. Er wollte sehen, ob etwas von der Spiegelfläche zu erkennen war, aber über ihnen zeigte sich alles grau in grau. Kein Spiegel, nur ein Himmel, der Angst einflößen konnte.
Über oder unter ihm trieben die trägen Dunstschwaden. Auch Schatten waren zu erkennen, die sich inmitten des Qualms bewegten. Bei genauerem Hinsehen waren es große Vögel. Mit trägen Flügelschlägen zogen sie ihre Bahnen und Kreise, als hielten sie Ausschau nach einem Landeplatz.
»Hübsche Tierchen«, sagte der Reporter. »Ich frage mich nur, welche Funktion sie erfüllen.«
»Es sind Adler.«
»Ach, und weshalb gerade Adler?«
»Kali hat den Sieg errungen, über die Herrscher der Lüfte. Sie ist hier die Herrin.«
»Das ist uns alles zu vage!« mischte sich Suko in das Gespräch.
Singal lächelte knapp. »Tut mir leid, ich habe alles gesagt.«
Suko widersprach. »Das kann ich dir nicht glauben. Ich habe den Eindruck, daß du mehr weißt.«
»Wie sollte ich?«
»Es war einer deiner Vorfahren, der den Spiegel hergestellt hat. Aus den Augen des Tigers, in dem Kalis Geist gebannt war. Jetzt ist er freigekommen…«
»Ich konnte es nicht verhindern.« Singal schlug gegen seine Brust. »Ich habe alles getan, um das Grauen aufzuhalten, es war wohl zu wenig. Ich sagte Mandra Korab Bescheid, von dem ich weiß, daß er ein Feind der Totengöttin ist, aber sie hat ihre Diener überall auf der Welt, und sie wollte Rache. Sie wird sich an euch rächen wollen, und sie wird auch mich nicht herauslassen.«
Suko warf Bill einen fragenden Blick zu. Der Reporter hob nur die Schultern. Er fühlte sich nicht kompetent.
Etwas anderes geschah. Sie sahen über sich einen Schatten. Zuerst dachten sie an einen tieffliegenden Vogel, bis sie die menschliche Gestalt erkannten.
Es war Mandra Korab!
Bill flüsterte den Namen des Inders und stellte die Frage nach John Sinclair ebenfalls. Eine Antwort konnte er nicht bekommen, so schaute er zu, dorthin zu gelangen, wo der Inder allmählich zu Boden sank. Er trieb durch den Dunst, hätte fast noch einen Stein berührt und kam dicht neben ihm mit beiden Beinen zugleich
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