0476 - Kalis tödlicher Spiegel
Göttin, den Spiegel, der seine Kraft nicht verloren hat und sie nun abgibt. Es ist das ewige Gefängnis für euch. Ihr werdet leben und seid schon tot, denn Kalis Kette kann noch Köpfe gebrauchen.« Singal begann zu lachen und deutete in die Höhe. »Seht ihr die schwarzen Vögel unter dem grauen Himmel? Sie sind Kali ebenfalls untertan. Sie werden auf meinen oder ihren Befehl hin herbeifliegen und damit beginnen, euch die Augen auszuharken, so wie man vor langer Zeit die Augen des Tigers genommen hat, um aus ihm den Spiegel zu fertigen. Alles wird sich wiederholen. Nichts bleibt ungerächt, dafür hat Kali Sorge getragen. Doch bevor dies geschieht, werdet ihr die Gnade der Totengöttin kennenlernen. Euch sei ein Blick in die Höhe gestattet, wo die Welt liegt, aus der ihr gekommen seid. Auch dort hat Kali ihre Diener versammelt. Sie sind durch ihren Geist gestärkt worden. Sie haben sich auf grausamste Art und Weise selbst getötet, nur um für sie leben zu können. Als untote Personen, als ihre Diener. Schaut in die Höhe!«
Ein jeder von ihnen kam der Aufforderung nach. Sie waren keine Hilfe, sie würden ihnen den Weg zurück in die Freiheit nicht zeigen, nein, so wie Kali und deren Diener reagierten, konnte man dies höchstens als eine Folter ansehen.
War das, was man vielleicht hätte als Grenze oder Himmel bezeichnen können, vor ihrer Gefangennahme noch wolkig, neblig und grau gewesen, so hatte es sich jetzt verändert. Die graue Farbe allerdings war geblieben, nur sah sie jetzt glatt aus, sie wirkte wie ein gewaltiger Anstrich, weder Anfang noch Ende waren zu erkennen, und in der Farbe erinnerte sie an matt glänzendes Gestein mit zahlreichen silbernen Einschüssen.
Matt und gleichzeitig durchsichtig, denn über der Fläche zeichnete sich ein reales Bild ab.
Das war die Welt, aus der sie gekommen waren. Und dort genau befanden und bewegten sich auch die Personen, von denen sie eine besonders gut kannten.
John Sinclair!
Suko und Mandra schluckten ihre Wut herunter, nur über Bills Lippen floß ein leises Stöhnen, als er seinen Freund John Sinclair sah, der über die Spiegelfläche schritt, aber sie anscheinend nicht erkannte. Der Spiegel war nur von der unteren Seite durchsichtig geworden. Kalis teuflische Kraft schaffte auch dies.
Als wäre eine Hand mit einem gewaltigen Wischlappen gekommen, so verschwand das Bild allmählich. Es löste sich auf, das Grau überwog, und die Personen verschwanden.
Dafür lachte Singal, bevor er schrie: »Habt ihr sie gesehen, habt ihr euren Freund erkannt? Er sucht euch, aber er wird euch nicht finden, das schwöre ich. Vielleicht weiß er sogar, wo ihr euch befindet. Er wird sich vor Wut selbst zerstören, weil es für ihn keinen Weg gibt, zu euch zu kommen, um euch vor einem Tod zu retten, den sich Kali ausgedacht hat. Vier ihrer Diener haben sich dort oben aufgehalten. Habt ihr die Gesichter gesehen? Auch daran trugen die Vögel die Schuld. Sie haben diese Personen angegriffen, sie getötet und ihnen gleichzeitig den Geist der Göttin eingehaucht. Ihr aber werdet nach eurem Tod nicht mehr leben, ihr werdet vergehen, verfaulen und für alle Zeiten in Kalis Körper stecken und ihre magische Kette erweitern. Ich schaue zu, wie die Vögel sich mit euch beschäftigen.«
Singal war in seinem Element. Mit einer tänzerisch anmutenden Bewegung drehte er sich herum, hob die Arme und klatschte dreimal laut in die Hände.
Ein Echo entstand, das sich noch verstärkte und auch von den gewaltigen, schwarzen Totenvögeln vernommen wurde.
Noch zogen sie ihre Kreise, aber sie hatten das Geräusch vernommen, denn aus verschiedenen Richtungen schwebten sie heran.
Insgesamt waren es sechs Totenvögel und Aasfresser, die sich zu einem Pulk vereinigten.
Singals Schrei war nicht zu überhören. Seine Stimme hatte selbst einen tierischen Klang bekommen, als er den nächsten Befehl gab und die Vögel ihre schwingen ausbreiteten, als würden sie ein gewaltiges Dach bilden. Sie besaßen nackte, kahle Hälse, ebenfalls schwarz, auch schmale Köpfe und gebogene Schnäbel, die an geknickte Messerspitzen erinnerten und sicherlich auch so scharf waren.
Bill ließ ein krächzendes Lachen hören. »Suko?« fragte er. »Willst du wissen, woran ich denke?«
»Lieber nicht.«
»Du denkst wahrscheinlich an das gleiche - oder?«
»Kann sein!« erwiderte der Chinese.
»Hört auf!« vernahmen sie Mandras Stimme. »Sie kommen.«
Tatsächlich lösten sich zwei Totengeier aus dem Pulk der
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