0479 - Der Blutjäger
hierher?« Sie deutete auf die Stelle, wo sie es gefunden hatte. Gryf zuckte etwas verwirrt mit den Schultern.
»Das ist eines der Agenturbilder«, sagte Rhiannon leise und eindringlich. »Eines der Bilder, die entwendet worden sind. Wieso finde ich es hier? Du hast es nicht zufällig gestern oder heute hier verloren?«
»Zufällig nicht«, gab Gryf etwas verbiestert zurück. »Was soll das, Rhiannon?«
»Ich war fast soweit, dir zu vertrauen«, sagte sie. »Ich hätte dir um ein Haar alles geglaubt, und ich hätte möglicherweise auch deine Verrücktheiten akzeptieren können, deine Zaubertricks. Aber das hier… verdammt, meine Fotos werden in London aus dem Agenturbüro gestohlen, und ganz zufällig stolperst gerade zu dieser Zeit du in mein Leben, und hier finde ich eines der Bilder wieder! Pech, was? Vielleicht hättest du auf den Inhalt deiner Taschen besser aufpassen sollen!«
Gryf war förmlich erstarrt; er rang nach Worten. Was Rhiannon ihm da vorwarf, war ungeheuerlich. »Willst du damit sagen, daß ich die Fotos gestohlen hätte?«
»Um dich damit an mich heranzumachen«, sagte Rhiannon bitter. »Verschwinde, du Mistkerl. Sofort! Raus mit dir, ehe ich mich vergesse!«
»He«, protestierte er und hob abwehrend die Hände. »Es ist nicht so, wie du meinst. Ich habe…«
»Raus!« schrie sie. »Sofort!«
Woher sie die Waffe hatte, konnte Gryf nicht sagen. Rhiannon war unglaublich schnell. Die Pistole mußte sie an einer Stelle ihrer Wohnlandschaft versteckt haben, wo niemand sie vermutete und fand, wo sie sie aber jederzeit erreichen konnte. Eine schwere Smith & Wessen 59, viel zu groß für die schmalen Mädchenhände. Mit einer raschen Bewegung, die lange Übung verriet, entsicherte sie die Waffe, um gleichzeitig den Schlitten zurückzuziehen, vorschnappen zu lassen und damit eine Patrone in den Lauf zu hebeln. Die Pistole war sofort gespannt und schußbereit, und das Kaliber war in der Lage, unangenehm große Löcher in Gryf zu stanzen.
Fotomodell Rhiannon wußte sich zu schützen. Vermutlich hatte sie trübe Erfahrungen gemacht - wer ihre Fotos sah und möglicherweise auf krummen Pfaden herausfand, wo sie wohnte, mochte sie aufgrund ihrer freizügigen Bilder für generell sexuell verfügbar halten und sie entsprechend belästigen. Vielleicht war sie auch von ihrer Agentin entsprechend instruiert worden. In jedem Fall war Gryf sicher, daß Rhiannon sogar einen Waffenschein für ihre Zimmerflak besaß.
Gryf starrte in das schwarze Mündungsloch, aus dem jeden Moment ein greller Blitz hervorgucken und sich als das letzte erweiser konnte, das der Druide jemals sah. Gegen Pistolenkugeln war er nicht gefeit. Er erinnerte sich an sein Abenteuer in der durch Merlins Silbermond-Experiment drastisch veränderten Welt des Jahres 2058. Dort hatte ihr ein Mädchen in eine Falle gelockt; ein Jäger hatte auf Gryf geschossen, ehe er sich in Sicherheit bringen konnte. Ohne die Hilfe eines Mannes, der sich ausgerechnet »Gevatter Tod« nannte und der Gryf medizinisch versorgte, hätte der Druide nicht überlebt. Es war eine andere Frage, ob er trotzdem noch leben würde, nachdem der Silbermond durch das entschlossene Eingreifen von Julian Peters in die Gegenwart und zugleich in eine von Julians geschaffene Traumwelt zurückgeholt worden war - Sara Moon und Ted Ewigk zum Beispiel, die auf dem Silbermond im Jahr 2058 ermordet worden waren, lebten jetzt in der Gegenwart wieder. Aber im Gegensatz zu ihnen hatte es Gryf in jener Zukunft auf die Erde verschlagen, und ohne »Gevatter Tods« Hilfe wäre er dort gestorben, ehe er auf den Silbermond zurückkehren und die abermalige Zeitversetzung mitmachen konnte. [2]
Die Erinnerung ließ ihn frösteln; innerhalb relativ kurzer Zeit stand er abermals vor einer schußbereiten Waffenmündung.
»Du bist verrückt« flüsterte er. »Du wirst doch nicht wirklich auf mich schießen!«
Seltsamerweise kam er nicht einmal auf den Gedanken, sich spontan per zeitlosem Sprung zu entfernen. Dabei wäre es ihm vielleicht gelungen; Rhiannons Finger hielt den Abzug der Waffe zwar unmittelbar am Druckpunkt, aber wenn Gryf die sprung auslösende Bewegung seitwärts richtete, hatte er gute Chancen, der Kugel zu entgehen oder sich allenfalls einen Streifschuß einzufangen. Aber seltsamerweise bannte ihn die morbide Vorstellung eines Schusses, der ihn niederstreckte und sein Blut auf den Teppich strömen ließ.
Ihm war fast, als wartete er darauf, daß die Kugel ihn traf und er in dieser
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