0479 - Die Nacht der bösen Angela
ins Spiel.«
»Du hast Erfahrung mit Gespenstern oder Spukgestalten? Bisher hast du das ins Reich der Fabel verwiesen.«
Gérard schaute auf. »Auch jetzt will ich daran nicht so recht glauben. Ich möchte den endgültigen Beweis.«
Lisette schlug gegen ihre Stirn. »Ja, bist du denn des Teufels? Du hast sie doch gesehen und bist nach ihrem Anblick in panischer Angst ins Haus gelaufen.«
»Schon…«
»Wie kannst du dann so reden?«
»Ich weiß es nicht, Lisette. Ich weiß es wirklich nicht. Es kommt mir vor, als hätte ich mir das alles eingebildet. Das ist alles so weit weg.« Er bewegte seine Hände. »Nicht faßbar, verstehst du? Wenn ich im nachhinein darüber sinniere, habe ich den Eindruck, als hätten wir uns die Sache nur eingebildet und würden einem Phantom nachlaufen.«
»Vergiß nicht, daß sie auf ein bestimmtes Ereignis wartet.«
Gérard strich durch sein Haar. »Können wir uns nicht auch verhört haben, als sie den Satz sagte?«
»Nein, sie wartet auf ihn. Wer ist das?«
»Weiß ich nicht.«
Lisette dachte über etwas nach und bekam große Augen. »Die wird doch nicht Thomas gemeint haben.«
»Unsinn. Wie kommst du darauf?«
»Weil er noch immer nicht hier ist. Zumindest hätte er anrufen können. Das hat er sonst auch immer getan.« Sie starrte an ihrem Mann vorbei. Gérard saß auf der Couch, das Fenster befand sich hinter ihm. Es führte zum Garten hin, wo die zahlreichen Obstbäume standen, die jetzt, im Winter, steif wirkten.
»Hast du was?« Gérard wunderte sich über seine Frau, die sehr langsam ihren Arm hob, ihn ausstreckte und, an dem Mann vorbei, auf das Fenster wies. »Da…«, sagte sie nur.
»Wieso? Wo…?«
»Hinter dir. Sie… sie ist gekommen!«
Plötzlich bekam Gérard eine Gänsehaut. Er drehte sich von der Couch hoch und sah, daß seine Frau zurückging, als hätte sie Angst davor, auf das Fenster zu schauen.
Er aber blickte hin - und sah das Gesicht!
Eine bleiche Fratze in der Dunkelheit. Die Haut war weiß und fahl. Die leicht schrägstehenden Augen wirkten wie hineingeschnitzt. Das Gesicht hatte etwas Katzenhaftes an sich, und Gérard erinnerte sich wieder an die erste Begegnung. Da hatte Angela genauso ausgesehen und dieses böse Lächeln gezeigt, das auch jetzt ihre Lippen in die Breite zog. Es war gleichzeitig wissend und lauernd.
Der Betrachter hatte den Eindruck, daß diese Person mehr, viel mehr wußte.
Hinter der Scheibe spielte sich eine gänsehauterzeugende Pantomime ab. Angela hob beide Arme, spreizte die Hände, und ihre langen Finger schabten über das Glas.
Unheimliche Geräusche, begleitet von dem bösen Lächeln, das die Lippen noch weiter auseinanderzog, so daß sich zwei schmale, spitze Zähne aus dem Oberkiefer schoben und den beiden Menschen zeigten, um wen es sich handelte.
»Ein Vampir!« ächzte Lisette. »Großer Gott, sie ist ein Vampir!« Ihr Mann sagte nichts, aber Lisette konnte einfach nicht stehenbleiben. Sie fuhr herum und eilte aus dem Raum.
»Wo willst du hin?« ächzte Gérard.
Eine Antwort erhielt er nicht. Er hörte Lisette im Schlafzimmer, wo sie mit sich selbst sprach.
Dann kam sie wieder zurück und brachte etwas mit. Es war ein schlichtes Holzkreuz, das bisher über dem Doppelbett der Cingars gehangen hatte. Sie hielt es mit beiden Händen fest, rannte wieder in den Wohnraum und schrie: »Aus dem Weg, geh weg, Gérard!«
Als er nicht gehorchte, stieß Lisette ihren Mann kurzerhand zur Seite. Dann lief sie auf das Fenster zu und hielt das Kreuz so hoch, daß Angela es sehen mußte.
Ihre Bewegungen erstarrten. Das unheimlich klingende Geräusch der über die Scheibe kratzenden Fingernägel verstummte, und ein anderer Ausdruck trat in das Gesicht der Vampirin.
Angst!
Sie warf mit einer wilden Bewegung den Kopf zurück, so daß die langen, schwarzen Haare wie eine Flut zur Seite geschleudert wurden. Mit einem Sprung war sie in der Dunkelheit verschwunden und für die Cingars nicht mehr zu sehen.
Damit aber gab sich Lisette nicht zufrieden. Sie wechselte das Kreuz in die rechte Hand und hebelte mit der anderen den Griff des Fensters nach unten.
»Bist du verrückt?« Ihr Mann wollte eingreifen. Sie aber schüttelte seine Hand ab.
»Laß mich! Einer muß es ja in die Hand nehmen. Ein Vampir fürchtet sich vor dem Kreuz!«
Kalte Luft drang in den Raum. Es war nicht nur die normale Kälte. Sie hatten beide das Gefühl, als wären sie von etwas anderem gestreift worden. Ein kühler Hauch, der einfach nicht
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